Begriffe und Denkanstösse

Elias Baumgarten
13. Juni 2019
Foto: Elias Baumgarten

Unstrittig ist die Schweizer Baukultur international anerkannt und gilt vielen als hochstehend. Mitunter wird die Schweizer Architekturproduktion gar als Vorbild angesehen und bewundert. Dieser schöne Erfolg beruht zu einem wesentlichen Teil auf der hiesigen Architekturausbildung. Statt sich auf diesem jedoch auszuruhen, gilt es, die Qualität der Lehre weiter zu steigern und den Nachwuchs fit für die Herausforderungen der Zukunft zu machen. In Luzern treffen sich daher seit drei Jahren Lehrer*innen der Schweizer Architekturschulen und Kolleg*innen aus dem Ausland, um über die aktuelle Lage und die Zukunft der Architekturausbildung zu debattieren. Vor einem guten Monat erst gingen die dritten «Lucerne Talks» am Institut für Architektur der HSLU – T&A über die Bühne. Zugleich gaben Heike Biechteler und Johannes Käferstein, Präsident des Architekturrats der Schweiz, das Buch «Architekturpädagogiken: Ein Glossar» heraus. Die Publikation beruht auf den Gesprächen und Diskussion an der vorigen Ausgabe der «Lucerne Talks». Sie ist beim Verlag Park Books erschienen.

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Von A wie Akademisierung bis Z wie Zwischenraum

Das gelbe Buch im kleinen Format versammelt 66 Texte zu Begriffen rund um die Architekturausbildung. Die Publikation ist ansprechend gestaltet und liegt mit einem Stoffeinband, der mit einer Folienprägung versehen wurde, gut in der Hand. Für jeden der Beiträge ist eine Doppelseite reserviert. Sie sind prägnant formuliert und lassen sich zügig lesen. Illustriert werden sie stets mit einem von der Autor*in ausgewählten Schlüsselbild. In die Tasten gegriffen haben Lehrer*innen der Schweizer Hochschulen. Je nach Herkunft der Autor*in sind die Texte grossteils in deutscher Sprache verfasst, es finden sich aber auch solche auf Englisch und Italienisch. Letztere sind schon mit grundlegenden Sprachkenntnissen gut verständlich. Um die Zusammenhänge zwischen den Texten zu verdeutlichen, verfügt das Buch über ein Verweissystem: Begriffe, zu denen eigene Beiträge existieren, sind im Fliesstext unterstrichen und zusätzlich am Spaltenrand angeschrieben. Dies regt zum Springen zwischen den Aufsätzen an.

Wichtig zu notieren ist, dass über die Begriffsklärungen Haltungen und Ansichten transportiert werden. Biechteler und Käferstein ging es ausdrücklich nicht um Vollständigkeit oder Allgemeingültigkeit. Auch das Entwickeln eines Konsenses war nicht ihr Ziel. Konkrete Handlungsanweisungen für den Unterricht liefert das Buch nicht. Von Vorwort (Käferstein) und Einführung (Biechteler) abgesehen, gibt es keine längeren Essays, welche die Beiträge zusammenbinden würden.

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Positionen

Was aber gibt es bei der Lektüre zu erfahren? Welche Positionen beziehen die Autor*innen? Auf welche Probleme und Unzulänglichkeiten weisen sie hin? Philip Loskant, der an der an der HTW Chur unterrichtet, schreibt in seinem Beitrag «Ökonomie», Architekt*innen würden heute in einem besonders wirtschaftlich denkenden Umfeld operieren. Private aber auch öffentliche Auftraggeber würden fortwährend stärker auf die wirtschaftliche Performance ihrer Projekte achten. Überhaupt scheint ihm ökonomisches Denken derzeit zum gesellschaftlichen Prinzip zu avancieren. Doch in der Ausbildung würden die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen noch zu wenig berücksichtigt, ja vernachlässigt. Den Student*innen müsse künftig viel mehr Wissen über ökonomische Mechanismen an die Hand gegeben werden, damit sie mit diesen kreativ und verantwortungsbewusst im Sinne architektonischer Qualität umzugehen wüssten. 

Caspar Schärer, Publizist und Generalsekretär des Bundes Schweizer Architekten (BSA), geht in seinem Beitrag auf die grosse Wichtigkeit der Architekturvermittlung ein. Architektur dürfe sich nicht ins Schneckenhaus verkriechen, bloss weil Nicht-Architekt*innen eine andere Sprache sprächen. Sie müsse fortwährend erklärt werden. Schliesslich obliegt die Entscheidung darüber, was gebaut wird, am Ende zumeist nicht den Architekt*innen. Zeit also, Allüren und Dünkel abzulegen und auf allgemein-verständliche Erklärungen zu setzen.

Dieter Dietz unterrichtet an der EPF Lausanne. Für ihn müssen Bauten Möglichkeitsräume aufspannen, die der Aneignung offenstehen. Energisch lehnt er in seinem flott geschriebenen Aufsatz «Prozess-Raum» «Disziplinarität» ab, verwahrt sich gegen Spezialistentum und Akademisierung und fordert, den Elfenbeinturm zu verlassen. Klingt gut, doch wie kann das gelingen? Hier wird Dietz konkreter als viele andere Autor*innen: Er führt das House 1 als Beispiel an, ein hands-on-Projekt, das mit 12 Studios der EPFL und gesamthaft 227 Student*innen im Jahr 2016 verwirklicht wurde. Diese gestalteten dabei Einbauten in eine gemeinsame 11 x 11 x 11 Meter grosse Struktur. Anhand von Skizzen, Zeichnungen und Modell verhandelten die Studierenden in vielen Runden, um sich mit ihren Entwürfen nicht ins Gehege zu kommen. Solche Aushandlungsprozesse zählen für Dietz zu den wichtigsten Lehrinhalten überhaupt.

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In Bereitstellung

Wie bereits erwähnt, liefert das Buch keine Guidelines oder konkreten Handlungsanweisungen. Zu lesen gibt es vielmehr Erfahrungen und Meinungen. Die Stärke der Publikation liegt darin, einen Diskurs anzutreiben und Denkanstösse zu liefern – wenn diese auch mitunter sehr allgemein gefasst sind. Der langfristige Erfolg des Buches wird sich daran bemessen, inwiefern es Lehrer*innen und Schulen zur Entwicklung neuer Vermittlungsmethoden und zum Implementieren neuer Inhalte in ihre Lehre anregt.

Architekturpädagogiken: Ein Glossar

Architekturpädagogiken: Ein Glossar
Heike Biechteler, Johannes Käferstein (Hrsg.)

170 x 240 mm
152 Seiten
71 Illustrationen
ISBN 9783038601395
Park Books
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