Architektur und Natur in Irland

Jenny Keller
19. November 2015
Mussenden Temple an Irlands Nordküste. Bild: jk

Nordirland hatte lange Zeit keinen guten Ruf. Die IRA hatte mit ihrem Terror dafür gesorgt, dass Irland-Reisende sich nicht nördlicher als Dublin wagten. Folgende Warnung, gelesen auf irish-net.de gilt heute leider für jedes Gebiet der Welt: «Absolut vermeiden muss man jede spontane Diskussion mit Unbekannten über Politik, Religion oder unter Umständen auch Fussball». So gesehen kann man seine Ferien gut in Nordirland verbringen, sofern man Regenjacken und Gummistiefel sowieso lieber trägt als Bikini und Flipflops. Seine Ferien muss man ja bald schon weider eingeben; dieser Bericht animiert vielleicht zu einer ähnlichen Reise im Frühsommer des kommenden Jahres.

Dublin
Es gibt zum Glück nicht nur Kartoffeln auf Irland. In den Städten, vor allem in Dublin und Belfast, ist das Essen sogar abwechslungsreich und teilweise exquisit; Modern pub food und from farm to fork sind die Stichworte. Und Seafood sollte man mögen, denn wenn es sonst nichts gibt, ist eine Tüte Fish’n’Chips die einfachste Lösung gegen den Hunger.

Wer in Dublin ist, kann die Guiness-Fabrik (Brauerei wäre ein Diminuitiv) besuchen. Doch dafür müsste man in einen Bus steigen und aus dem Zentrum fahren. Mehr zu empfehlen ist ein Spaziergang in der Innenstadt, zum Beispiel zum Trinity College, der staatlichen Universität der Hauptstadt, gegründet 1592. Die altehrwürdigen Hallen und die Bibliothek, aber auch der Campus sind in jedem Reiseführer beschrieben, das Kaffee der Science Gallery sollte man besuchen, auch wenn es vielleicht noch nicht Eingang in einen Guide gefunden hat. Neuere Architektur auf dem Campus stammt von de Blacam and Meagher Architects aus Dublin, so zum Beispiel das Beckett Theatre.

Sitz des Irish Architectural Archive. Bild: Courtesy of the Irish Architectural Archive

Wer mehr über zeitgenössische irische Architektur erfahren will, geht zum Irish Architectural Archive. Dieses befindet sich am Merrion Square, einer wichtigen Strasse des georgianischen Dublins. Die französischen Fenster des ersten Stockes, wo sich die repräsentativen Räume befanden, waren zwischen 1720 und 1840, was heute die Mobiltelefone sind: Die Fenster zur Welt. Hier posierte man in den neusten Gewändern und zeigte sich, um den aktuellsten Klatsch zu füttern.

Das georgianische Dublin – als Zeitperiode – erstreckte sich von 1720 bis 1840. Damals war Dublin die zweitwichtigste Stadt des Empire, nach London, und seine Stadtplaner machten sich daran, die mittelalterlichen Strassenzüge zu modernisieren. Gleichzeitig setzte ein Bauboom ein. Die Neubaugebiete wurden in Bezirke mit eigenen Bauunternehmern eingeteilt. Aussehen, Lage und Stil der Häuser unterlag strenger Kontrollen, sodass die Gebäude noch heute einheitlich erscheinen. Der Adel und die Politiker wohnten in den neuen Häusern – bis Dublin 1801 sein Parlament verlor, eine Folge des Act of Union, als Irland und Grossbritannien zu einem einheitlichen Königreich vereint wurden. Die ehemals herrschaftlichen Häuser, vor allem im Norden der Stadt, wurden mit armen Mietern vollgepfercht und zahlreiche Häuser verfielen. Als Symbol der britischen Herrschaft und der «fremden» protestantischen Gemeinschaft genossen die georgianischen Häuser in den Jahren nach der Unabhängigkeit 1922 wenig Sympathie.

Bis zum Ende der 1930er-Jahre gab es lediglich am Fitzwilliam Square noch bewohnte georgianische Häuser. Alle anderen standen entweder leer oder wurden zu Firmensitzen. Mancher Bewohner der Hauptstadt seufzt heute jedoch über den misslungenen Bauboom nach dem Zweiten Weltkrieg, dem einige Häuser des georgianischen Stils zum Opfer gefallen sind. Immerhin Grafton Architects, 1978 gegründet von den beiden Irinnen Yvonne Farrell & Shelley McNamara, haben den Ruf der zeitgenössischen Baukunst in Dublin gerettet. Ihr Department of Finance in der Innenstadt Dublins gilt als Vorzeigemodell der zeitgenössischen Architektur, und manch ein Architekturkritiker will in seiner Gestalt Parallelen zu den georgianischen Häusern finden.

Department of Finance in Dublin von Grafton Architects. Bild: jk

Ein weiterer Kaffee empfiehlt sich, im Kaffee Coppa der Royal Hibernian Academy zu trinken. Nicht nur das Angebot ist trendy – auch die Besucher sind es. Die Akademie wurde 1861 gegründet mit dem hochgesteckten Ziel, die bildende Kunst, Bildhauerei, Architektur etc. durch Veranstaltungen und Austausch der Künstler untereinander zu verbessern. Aus der Satzung von 1861:
 

«We do hereby for us, our heirs and successors give and grant to the said Academicians that they shall and may hold Meetings of themselves for the better improvement and encouragement of the Arts of Painting, Sculpture and Architecture, Drawing, Engraving and other Arts…»

Das Gebäude zur Akademie wurde entworfen von Raymond McGrath und ausgeführt von Arthur Gibney und konnte 1985 eröffnet werden.

Die Royal Hibernian Academy, Dublin. Bild: Donal Murphy

Einige Stationen auf dem Weg von Dublin nach Belfast
Die Reise von Dublin an der Ostküste Richtung Norden ist sehr zu empfehlen, die Natur umwerfend, die Schlösser, ihre Gärten und Burgen. Auch die jüngere Geschichte um Nordirlands Unabhängigkeit ist anzutreffen und macht die Reise abwechslungsreich und vielschichtig – wie der Himmel an der windigen Ostküste.

Eindrücklich ist zuerst einmal die Küste, wo eine Zeitlang nur Schafe, Meer und Himmel zu sehen sind. Ehemalige Herrensitze und ihre Gärten sind auf jeden Fall eine Pause wert. Der National Trust (wir befinden uns ja jetzt wieder im Vereinten Königreich und bezahlen mit Pfund – im Gegensatz zu Dublins Euro) verwaltet die meisten Anlagen, wie zum Beispiel Mount Stewart, Castle Ward, Castle Coole oder Dunluce Castle. Die Besichtigung dieser Sehenswürdigkeiten könnte mehrere Tage in Anspruch nehmen – man sollte also genügend Zeit einplanen. Ein wunderschöner Garten, der von der dort wohnenden Familie (!) selbst gepflegt wird, ist Walled Garden des Glenarm Castle. Irland verfügt durch den Golfstrom über ein gnädiges Klima, die Mauern um die walled gardens schützen die teilweise exotischen Pflanzen zusätzlich vor Wind und Wetter.

Walled Garden des Glenarm Castle. Bild: jk

Downhill Demesne mit eigenem Tempel (siehe Einstiegsbild) gehört zum verfallenen Sitz eines schöngeistigen und dem weltlichen Leben zugeneigten anglikanischen Bischofs aus dem 18. Jahrhundert. Er hatte Freude an Architektur und arbeitete mit mehreren Architekten zusammen. Bis 1922 wurde hier gewohnt, während des Zweiten Weltkriegs positionierte das Militär dort Kanonen und Truppen – und nach 1944 zerfiel es leider. Der Landsitz befindet sich an der Nordküste und der Mussenden Temple sitzt auf windiger Klippe, als wollten die Erbauer uns heute noch etwas beweisen.

Belfast
In Belfast wurde die Titanic gebaut. Darüber ist man noch heute Stolz, auch wenn das Ende des Luxusdampfers kein gutes war. Im 2012 eröffneten Titanic-Museum von Todd Architects, wir haben berichtet, das mehr Erlebnispark als herkömmliches Museum ist, wird mit vielen szenografischen Mitteln die allseits bekannte Geschichte des unsinkbaren Schiffes, das trotzdem sank, nacherzählt. Der geschichtsträchtige Standort am Belfaster Hafen bei der Werft, wo die Titanic gebaut wurde, erfuhr in den letzten Jahren eine Aufwertung, die sich architektonisch nicht nur sehen lässt … Die Betreiber des Museums erklären indes, dass mit dem Museum nicht der Untergang des Schiffes gefeiert werden sollte, sondern das, was in Belfast vor hundert Jahren geleistet wurde: ein Meisterwerk der Ingenieure und Handwerker. Wir finden, ein Besuch ist nicht unbedingt nötig – ausser es regnet und ist Sonntag oder man ist Amerikaner und will den Weg seiner Vorfahren nachvollziehen.

Das beeindruckendste Bauwerk im Norden Irlands stammt indessen von keinem Architekten und keinem Ingenieur: Es ist der Giant’s Causeway. Ein Bauwerk und Denkmal der Natur, das vor 60 Millionen Jahren entstanden war. Die Basaltsäulen formten sich während eines Vulkanausbruchs, als auskühlende Lava an der Oberfläche zu dieser Gesteinsformation erstarrte. Die Säulen sind meist sechseckig, unterschiedlich hoch und rund 30 Zentimeter breit. Um den Giant’s Causeway, der von der Unesco zum Weltkulturerbe erhoben wurde, ranken sich zahlreiche Legenden, deren Hauptperson ein Riese ist. Dichtung und Wahrheit werden auf einprägsame Weise im Besucherzentrum oben auf der Klippe erklärt, und beim Besuch vor Ort auf den windigen und zuweilen rutschigen Basaltsäulen klärt ein Audioguide über den mystischen Ort auf.

Giant's Causeway. Bild: Chmee2 via Wikimedia Commons

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