Vordenker, Kunstunternehmer, Forscherin

Elias Baumgarten | 7. Februar 2025
Die Gewinner des 25. Prix Meret Oppenheim: Miroslav Šik, Pamela Rosenkranz und Felix Lehner (Fotos: © Honza Sakař, Marc Asekhame und Théa Giglio)
»Die Hauptsache aber ist: Man geht mit der Absicht an die Arbeit, dass die Leute partizipieren können – indem man ihre Traditionen berücksichtigt und ihre Orte.«

Miroslav Šik

Kaum einer hat die Schweizer Architektur geprägt wie Miroslav Šik. Gemeinsam mit seinem Assistentenkollegen Luca Ortelli entwickelte der Architekt aus Prag am Lehrstuhl von ETH-Professor Fabio Reinhart in den 1980er-Jahren eine neue Architekturauffassung, aus der eine Bewegung erwachsen sollte: die Analoge Architektur. In Abkehr von der Architekturmoderne und als Ausweg aus der Postmoderne brachten die Architekturlehrer ihren Studierenden bei, mit Referenzen zu arbeiten und diese poetisch zu verfremden. Auch die Auseinandersetzung mit (vergessenen) Bautraditionen rückte in den Fokus. Der Architekturnachwuchs wurde intensiv betreut, musste Bildreferenzen sammeln, und in den Entwurfskursen zeichneten die Studierenden zunächst stimmungsvolle Perspektiven von Hand. Es war das erste Mal nach dem Abschied von der Ikone Aldo Rossi, dass an der ETH eine Schule innerhalb des Architekturdepartements entstand. Šik sorgte mit kämpferischen Texten und scharfzüngigen Aussagen in Interviews für ein theoretisches Fundament und mediale Aufmerksamkeit.

Nach dieser ersten Phase als Architekturlehrer wendete er sich der Praxis zu, baute die katholischen Zentren in Egg und Morges, bevor er zunächst in Prag, dann an der EPFL Lausanne und ab 1999 schließlich an der ETH wieder unterrichtete. In Zürich lehrte er als Professor bis 2018, also fast zwanzig Jahre. Weniger radikal als früher vermittelte er nun eine praxisnahe, versöhnliche Architektursprache mit Elementen aus dem Regionalismus, dem Traditionalismus und auch der Moderne. Diese Stilrichtung wird darum mit dem Begriff altneue Architektur gefasst. Gleichzeitig baute Šik weiterhin und vertrat 2012 die Schweiz an der Architekturbiennale von Venedig. Heute betreibt er ein gemeinsames Architekturbüro mit Daniela Frei und Marc Mayor. Zu seiner Lehre ist inzwischen das Buch »Analoge Altneue Architektur« erschienen.

Miroslav Šik hat über die Jahrzehnte unzählige erfolgreiche Architektinnen und Architekten ausgebildet und beeinflusst. Zu seinen Studenten gehörten Christian Kerez, Andrea Deplazes und der bayerische Architekturprofessor Andreas Hild, um nur wenige stellvertretend zu nennen. Für sein Lebenswerk erhält er nun den Prix Meret Oppenheim, also den Schweizer Grand Prix Kunst, den das Bundesamt für Kultur jährlich vergibt.

Pamela Rosenkranz (Foto: © Marc Asekhame)
Die Kunst, ein Medium für Fragen über das Menschsein

Auch Pamela Rosenkranz, die sich in diesem Jahr ebenfalls über den renommierten Kunstpreis freuen darf, vertrat die Schweiz schon an der Biennale von Venedig. 2015 fesselte sie das Publikum mit der Installation »Our Product«: Eine rosafarbene, zähflüssige Substanz füllte den Schweizer Pavillon, in dem sich ein von der Künstlerin aus Altdorf entwickelter Duft verbreitete. Audio- und Lichtarbeiten vervollständigten das Kunstwerk, das die menschliche Wahrnehmung untersuchen sollte. 

Rosenkranz, die in Bern und Amsterdam studiert hat, interessiert, wie Menschen fühlen und sich ausdrücken. Mit der Ausstellung »House of Meme« im Kunsthaus Bregenz fragte sie 2021 zum Beispiel nach der Bedeutung von Memes als kulturelle Codes im Internetzeitalter. Auch das Verhältnis zwischen Natur und Künstlichkeit beschäftigt Rosenkranz. Auf der High Line in New York, einer zum Park umgestalteten Hochbahnstrecke aus der Zeit der Industrialisierung, stellte sie die Skulptur »Old Tree« auf, einen leuchtend roten und pinken Baum. Und ihre Performance »Healer« führte 2019 eine Roboterschlange auf.

Die Kunst ist Pamela Rosenkranz’ bevorzugtes Medium, um ihre Fragen zu stellen – wohl auch, weil sie aus ihrer Sicht vieldeutiger und offener ist als Sprache. Dabei beweist sie ein feines Gespür für aktuelle Entwicklungen und Debatten, die sie in ihren Werken aufgreift. Ihre Arbeiten entwickeln die Kunst weiter. Sie regen zu eigenem Nachdenken an und lassen sich bisweilen durchaus auch gesellschaftskritisch interpretieren.

Felix Lehner (Foto: © Katalin Deer)
Eine moderne Bauhütte

Dass er Kunstgießer werden wollte, wusste Felix Lehner schon als Schüler. Doch weil das Kunsthandwerk damals noch nicht unterrichtet wurde, machte der dritte heurige Prix-Meret-Oppenheim-Gewinner zunächst eine Lehre als Buchhändler. Anschließend jobbte er als Hilfsgießer und brachte sich das Handwerk des Gießens selbst bei. 1984 dann, mit gerade 22 Jahren, eröffnete Lehner seine eigene Kunstgießerei in Beinwil am See. 1994 zog sie nach St.Gallen um, wo sie auf dem Gelände einer ehemaligen Textilfärberei eine neue Heimat fand.

In der Ostschweiz baute Lehner seinen kleinen Betrieb zu einem Zentrum des Kunsthandwerks auf: Heute sind 80 Expertinnen und Experten für ihn tätig, und er besitzt eine Tochterfirma in Shanghai. Aus aller Welt kommen Künstlerinnen und Künstler nach St.Gallen, um in den Gastateliers der Gießerei zu arbeiten. Neben dem Produktionsbetrieb gehören zu Lehners Kunstzentrum inzwischen auch die Stiftung Sitterwerk mit Kunstbibliothek, Werkstoffarchiv und Atelierhaus sowie das nach dem Bildhauer Hans Josephsohn benannte Kesselhaus mit Ausstellungsraum und Kunstgalerie. Die Kunstgiesserei St.Gallen ist eine Anlaufstelle für Architektinnen, Kuratoren und Forschende. Ihr Aufbau ist eine Lebensleistung, für die Felix Lehner nun geehrt wird. Gemeinsam mit Miroslav Šik und Pamela Rosenkranz wird er den Preis am 16. Juni in Basel feierlich entgegennehmen.

Vorgestelltes Projekt 

schoch-tavli architekten

Sanierung Altes Pfarrhaus Altnau

Verwandte Artikel