«Retail Apocalypse»
Susanna Koeberle
12. März 2020
Ausstellungsansicht (Foto: Nelly Rodriguez)
Eine Schau an der ETH Hönggerberg führt die Geschichte und heutige Entwicklung der Retail Architektur vor. Dabei zeigt sich, wie stark Shop-Architektur unsere Städte und Lebenswelt bestimmt hat und dies bis heute tut – auch nach Ende des Shop-Zeitalters. Konsum bestimmt unser Verhalten nach wie vor.
Wäre Shop-Design eine Disziplin (was sie vielleicht auch ist), dann müsste man sie definitiv als transdisziplinär bezeichnen. Nicht nur geht es dabei um ästhetische Aspekte des Designs und der Architektur, ebenso entscheidend sind diesbezüglich ökonomische und psychologische Überlegungen. Auch soziologische Fragestellungen gehören in dieses Feld, denn wie und wo wir einkaufen, sagt auch über unseren sozialen Status etwas aus, beziehungsweise darüber, welchen wir damit vermitteln möchten. Ob wir wollen oder nicht: Shopping durchdringt unsere Lebenswelt – zumindest ist das in der Ersten Welt der Fall. Weil diese Praxis so unterschiedliche Bereiche reflektiert, eignet sie sich auch besonders als Forschungsgegenstand.
Der Wandel, den Shopping durchgemacht hat, ist bemerkenswert. Seit der Industrialisierung und der damit einher gehenden Massenproduktion von Gütern haben Kaufhäuser und Ladenlokale unser Stadtbild verändert. Und als Städte immer stärker wuchsen und sich verdichteten, wurden bestimmte Shopping-Bereiche an die Ränder der urbanen Zentren ausgelagert. Zugleich lässt sich im Verlauf der Geschichte der Retail Architektur auch eine Vermischung von Kultur und Konsum beobachten. Schon 1930 verwies der Architekt und Designer Friedrich Kiesler mit seiner Publikation «Contemporary Art Applied to the Store and Its Display» auf die künstlerischen Strategien von Shop-Displays, die gewissermassen der Kunst den Weg in die Welt des Kommerz ebneten und sie damit auch für die Massen zugänglich machten. Er selber gestaltete für das Warenhaus «Saks Fifth Avenue» verschiedene Schaufenster.
Stellwände von Studio Anne Holtrop für Margiela (Foto: Nelly Rodriguez)
Zurzeit vollzieht sich allerdings ein radikaler Wandel; Globalisierung und Digitalisierung führen zu einem massenhaften Verschwinden von Geschäften auf der einen Seite und zu neuen Shop-Konzepten auf der anderen. Fredi Fischli und Niels Olsen, die beiden Leiter der gta exhibitions, konstatierten auf ihren Recherchen zum Thema ein Auseinanderdriften von vormals zusammen wirkenden Bereichen. Die klassische Shopping-Strasse oder das Kaufhaus, welche das urbane Leben bis vor kurzem prägten, scheinen ausgedient zu haben. Diese Entwicklung widerspiegelt sich im Begriff der «Dead Mall». Wir befinden uns im Zeitalter der «Retail Apocalyse». Waren werden aber nach wie vor produziert und schreien nach Käufer*innen. Gerade Luxusbrands im Bereich Fashion wollen ihre Identität sichtbar kommunizieren. Dies geschieht heute, indem sich Ladenlokale gleichsam zu musealen Showrooms wandeln, zu künstlerisch gestalteten Brand-Tempeln, die nicht zwingend zum Einkaufen der Ware dienen. Welche Möglichkeiten eröffnen diese Trends für Designer*innen, Architekt*innen und Künstler*innen?
Mannequins mit Mode schaffen in den Räumen eine anschauliche Shop-Atmosphäre. (Foto: Nelly Rodriguez)
Fischli und Olsen blicken in der aktuellen Schau am Institut gta der ETH Zürich auf die Geschichte der Retail Architektur und schaffen in den Ausstellungsräumlichkeiten ein dichtes Panoptikum. Schon von aussen indizieren die zugeklebten Fenster eine Art Endzeitstimmung oder zumindest eine Shut-Down-Atmosphäre. Die Fenster wurden vom Kollektiv GR10K gestaltet. Der Titel «Variable Blackout Incursion» macht schon die subversive Geste deutlich, derer sich der Brand bedient. GR10K unterläuft mit seiner Praxis das Fashion-System, indem es dieses hackt. Hier vereinen sich Bejahung und Auflehnung zu einer künstlerischen Haltung, die sich zugleich an der Logik des Marktes orientiert. Die Ausstellung schafft es, die unterschiedlichen Tendenzen in der Geschichte des Retails aufzufächern und ihre paradoxen Phänomene anschaulich darzustellen.
Intervention von GR10K (Foto: Nelly Rodriguez)
Im Innern treffen Besucher*innen auf eine Vielzahl von Exponaten – sowohl schriftliche Dokumente als auch Teile von Shop-Architektur – beginnend mit einem Blick auf die ersten Kaufhäuser. Diesbezüglich fokussieren die Kuratoren (die Schau entstand übrigens in Zusammenarbeit mit Mark Lee von der Harvard University Graduate School of Design, wo eine parallele Schau am 1. April eröffnen wird) auf Zürich und auf verschiedene historische Beispiele von Kaufhausarchitektur zu Beginn des 20. Jahrhunderts wie etwa dem Manor, der 1911 und 1928 (damals hiess das Geschäft noch Brann) von Pfleghard & Haefeli umgebaut wurde. Ende Januar 2020 musste Manor seine Tore schliessen; die Besitzerin Swiss Life wird die Räumlichkeiten nur noch zum Teil als Ladenflächen vermieten. Ein weiteres Beispiel in der Limmatstadt ist die bis heute existierende Designadresse wohnbedarf AG, 1931 von Sigfried Giedion, Werner Max Moser und Rudolf Graber gegründet und weit mehr als ein Designgeschäft, eher eine Art Musterbeispiel für stilvolles Wohnen.
Die wohnbedarf AG als Zürcher Beispiel (Foto: Nelly Rodriguez)
Legendäre Beispiele wie der Olivetti-Showroom von Carlo Scarpa in Venedig (1958) zeigen die Verwandlung eines Verkaufsraums in ein Museum, das die Architektur als solche zelebriert. Diese Loslösung von einem rein kommerziellen Kontext geschieht heute auch, wenn Brands berühmte Architekt*innen anfragen, einen Shop zu gestalten. In der Ausstellung prominent in Szene gesetzt ist etwa der Entwurf für den Prada Store in Tokio von Herzog & de Meuron (2000–2003), die ausgestellten Teile erinnern dabei an eine archäologische Stätte aus der Zukunft. HdM verwendeten eine Mischung aus hyperkünstlichen und hypernatürlichen Materialien. Unüblich für Retail Architektur ist das Schaffen einer kleinen Plaza vor dem Geschäft, denn gemäss der von Rem Koolhaas und seinen Studierenden publizierten «Harvard Design School Guide to Shopping» (2001) sind Geschäftszonen zu «Junkspaces» mutiert; das heisst sie töten den öffentlichen Raum ab und nehmen die urbanen Landschaft zu einem einzigen Zweck in Beschlag: dem des Konsums. Wer heute etwa durch das Pariser Marais spaziert, kann das nur bestätigen.
In der Ausstellung können sich die Besucher*innen in viele Fotos vertiefen. (Foto: Nelly Rodriguez)
Nichtsdestotrotz präsentiert die Schau ein paar spannende Beispiele von Shop-Architektur wie den Paul Smith-Laden von 6a architects, die Arbeiten für die Margiela Show A/W 18 von Studio Anne Holtrop oder das Lingerie-Geschäft «la fille d’O» in Antwerpen von architecten de vylder vinck taillieu, um nur einen Bruchteil der gezeigten Entwürfe zu nennen. Diese Beispiele führen die Strategien vor, mit denen Brands ihre Konsument*innen verführen, aber auch die Faszination von Architekt*innen für diese Art von Aufgaben. Die Kuratoren thematisieren auch die Allianz von Kunst und Kommerz. So hat etwa die Künstlerin Dominique Gonzalez-Foerster zwischen 2002 und 2012 die Innenräume der Balenciaga-Stores mitentworfen. Der Künstler und Schriftsteller Seth Price infiltrierte an der Documenta (13) ein Kasseler Kaufhaus mit seinen Kleiderentwürfen. Oder infiltrierte die Marktlogik die Kunst? Wer unterwandert wen? Unsere postmoderne Faszination für die Oberfläche scheint es uns unmöglich zu machen, zwischen dem «Eigentlichen» und dem «Imitierten» zu unterscheiden. Also back to the roots? Für diese Sehnsucht hat ja der Markt auch schon wieder eine Masche parat. Heute feiert etwa Handwerk und das «Ursprüngliche» eine Renaissance. Und bald kommt wohl Yoga in der Shoppingmall. Gibt es eine Rettung vor Shopping? Wollen wir überhaupt gerettet werden? Die literarischen Positionen, auf die in der Ausstellung verwiesen wird, sind kritische Stimmen, die uns einen Spiegel vorhalten. Und uns vielleicht erlauben, unsere Wünsche und Träume, die so eng an Konsum gebunden sind, zu hinterfragen.