Neuer Vorstoss
Elias Baumgarten
28. März 2019
Pro Natura, Bird Life Schweiz, die Stiftung Landschaftsschutz und der Schweizer Heimatschutz haben gemeinsam zwei Volksinitiativen lanciert. Bild: Elias Baumgarten
Am 26. März 2019 haben vier Umweltverbände eine Doppelinitiative zum Landschaftsschutz lanciert. Sie möchten, dass der Schutz von Biodiversität, wertvollen Kulturlandschaften und Baudenkmälern in die Bundesverfassung aufgenommen wird.
Gut eineinhalb Monate ist es nun her, dass die Zersiedelungsinitiative vom Stimmvolk klar abgelehnt wurde. Doch ist das Thema des Bauens ausserhalb der Bauzonen mit dem Votum nicht ad acta gelegt. Ganz im Gegenteil: Pro Natura, Bird Life Schweiz, die Stiftung Landschaftsschutz und der Schweizer Heimatschutz setzen die Debatte fort. Gemeinsam haben sie eine Doppelinitiative lanciert. Die Unterschriftensammlung hat am vergangenen Dienstag, dem 26. März 2019, begonnen. Wir stellen im Folgenden beide Initiativen kurz vor. Im Fall einer Annahme würden sie grosse Auswirkungen auf die Schweizer Bauproduktion haben.
Die Schweiz ist berühmt für ihre vielfältigen und wunderschönen Naturlandschaften. Grosse Teile der Bevölkerung verbringen gerne und viel Zeit in dieser prächtigen Kulisse. Auch lockt sie jedes Jahr unzählige Touristen aus nah und fern. Doch für ihren Schutz wird – aller Wertschätzung zum Trotz – wenig getan. Die Schweiz ist beileibe kein Musterknabe in Sachen Naturschutz. Unter den Mitgliedsländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) weist sie die höchste Zahl an bedrohten Tier- und Pflanzenarten auf. Das Insektensterben hat hierzulande alarmierende Ausmasse erreicht. Nur 6,2 Prozent der Landesfläche stehen unter Schutz – ebenfalls ein Negativrekord im internationalen Vergleich. Lediglich 705 Millionen Franken werden jährlich in den Naturschutz investiert. Diese Summe entspricht 0,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Eine Fläche von 10 Fussballfeldern an kostbarer Naturlandschaft wird täglich verbaut. Die Biodiversitätsinitiative verlangt, dass die Bereitstellung von ausreichend Geldmitteln für den Natur- und Landschaftsschutz in der Bundesverfassung festgeschrieben wird. Auch soll der Erhalt von genügend Fläche zur Sicherstellung der Artenvielfalt dort verankert werden.
Über 2'000 Gebäude sind in der Schweiz allein im vergangenen Jahr ausserhalb der Bauzonen entstanden. Mehr als 400 davon sind Wohnhäuser. Dies ist geschehen, obschon bereits mit dem Gewässerschutzgesetz von 1972 eine Trennung von Bau- und Nichtbauzonen festgelegt wurde, die das Schweizer Stimmvolk seither immer wieder bestätigt hat. Möglich wird dies durch 43 Ausnahmeregelungen, die seit 1980 von der Politik beschlossen wurden. Mit der Landschaftsinitiative soll dies für die Zukunft unterbunden werden. Ein besonderes Augenmerk legen die Initianten dabei auf den Schutz (landwirtschaftlicher) Baudenkmäler. Die zweite Teilrevision des Raumplanungsgesetzes (RPG 2) die derzeit im National- und Ständerat verhandelt wird, geht ihnen dabei nicht weit genug. Vielmehr fürchten sie sogar, dass bald neue Ausnahmen von den Politiker*innen auf den Weg gebracht werden. Darum soll die Bundesverfassung um einen Artikel 75c ergänzt werden. Dieser würde insbesondere die Erstellung nichtlandwirtschaftlicher Bauten ausserhalb der Bauzonen unterbinden. Auch der Umbau vormals landwirtschaftlich genutzter Objekte zu Wohnhäusern würde weitestgehend verboten. Ausnahmen wären nur noch für den Fall möglich, dass ein Projekt dem Erhalt eines Baudenkmals oder einer wertvollen Kulturlandschaft nachweislich dienlich ist. Der beabsichtigte Zusatz zur Bundesverfassung soll wie folgt lauten:
1. Bund und Kantone stellen die Trennung des Baugebiets vom Nichtbaugebiet sicher.
2. Sie sorgen dafür, dass im Nichtbaugebiet die Zahl der Gebäude und die von ihnen beanspruchte Fläche insgesamt nicht zunehmen. Insbesondere gelten die folgenden Grundsätze:
a. Neue Bauten und Anlagen müssen nötig für die Landwirtschaft sein oder aus anderen gewichtigen Gründen standortgebunden sein.
b. Landwirtschaftliche Ökonomiebauten dürfen nicht zu Wohnzwecken umgenutzt werden.
c. Zweckänderungen von bestehenden Bauten zu landwirtschaftsfremden gewerblichen Nutzungen sind nicht zulässig.
3. Bestehende nicht landwirtschaftlich genutzte Bauten im Nichtbaugebiet dürfen nicht wesentlich vergrössert werden. Ihr Ersatz durch Neubauten ist nur zulässig, wenn sie durch höhere Gewalt zerstört worden sind.
4. Ausnahmen von Absatz 2 Buchstaben b und c sind zulässig, wenn dies der Erhaltung schutzwürdiger Bauten und deren Umgebung dient. Ausnahmen von Absatz 3 sind zulässig, wenn dies zu einer wesentlichen Verbesserung der örtlichen Gesamtsituation bezüglich Natur, Landschaft und Baukultur führt.
5. Das Gesetz regelt die Berichterstattung der Kantone über den Vollzug der Bestimmungen dieses Artikels.
Die beiden Volksinitiativen adressieren ausdrücklich den Schutz von Natur- und Kulturlandschaft vor Zersiedelung. Die Initianten interessieren sich für das Geschehen im Nichtbaugebiet. Anders als bei der verworfenen Zersiedelungsinitiative sollen nicht die Bauzonen auf jetzigem Stand eingefroren, sondern der regen Bautätigkeit ausserhalb dieser Einhalt geboten werden. Weil in der Schweiz ein grosser Bevölkerungszuwachs erwartet wird – das Bundesamt für Statistik rechnet mit einem konstanten Anstieg bis 2045 –, muss zugleich die Verdichtung im Siedlungsgebiet angegangen werden. Wichtig wäre nun, die Debatte hierüber parallel intensiv zu führen, da beide Diskurse aufs Engste miteinander verflochten sind.