Kopenhagen: Eine Stadt mit hoher Architektur- und Designkultur

Susanna Koeberle
4. Juli 2024
Das Danish Architecture Center (DAC) befindet sich in einem Neubau von OMA. (Foto: Rasmus Hjortshoj)

Zu Beginn ein Geständnis: Ich fahre kein Fahrrad. Aber man staune: In Kopenhagen könnte ich durchaus zur Fahrradfahrerin werden. Beziehungsweise habe ich während meines dreitägigen Besuchs im Juni erkannt, dass sogar ich, eine überzeugte ÖV-Nutzerin und Fussgängerin, diesem Fortbewegungsmittel etwas abgewinnen kann. Trotz meiner fehlenden Kompetenz in Sachen Zweirad hatte ich keinerlei – oder nur wenige – Bedenken, als die Organisator*innen von «3daysofdesign» ankündigten, man würde während der geladenen Pressereise die Stadt per Boot, Velo und zu Fuss erkunden. Offensichtlich hatte ich Kopenhagen in meinem Kopf bereits als Velostadt abgespeichert. Da führte auch für mich kein Weg am Fahrradfahren vorbei. Unfälle gab es zum Glück keine. 

Ich vermute, das ist auch auf das gut ausgebaute Radwegnetz zurückzuführen. Die fahrradgerechte Stadtplanung Kopenhagens widerspiegelt sich unter anderem darin, dass es in dieser Stadt mehr Fahrräder als Autos gibt. Überhaupt muss man der Hauptstadt Dänemarks eine Höchstnote geben, was innovative, umweltgerechte und zukunftsgerichtete urbane Entwicklung betrifft. Die Weichen dafür wurden und werden in der Politik gestellt. Das Beispiel Kopenhagen beweist, wie positiv sich eine Stadt entwickeln kann, wenn viele Parteien – dazu gehört auch die Zivilbevölkerung – am gleichen Strick ziehen. Das klingt jetzt etwas abstrakt, aber meine Stippvisite in Kopenhagen war der beste Beweis dafür, dass dort wegweisende Konzepte umgesetzt werden und dass dies tatsächlich ein Plus an Lebensqualität bedeutet. 

Der imposante Bau besteht aus gestapelten Glaskuben. (Foto: dronefotos DroneRune)

Obwohl zeitgenössisches Design und nicht Urbanismus im Fokus meines Besuchs stand, wurde mir in diesen Tagen bewusst, wie stark eben auch Architektur eine Designdisziplin ist. Denn was im Kleinen mit Bedacht gestaltet wird, zieht grössere Kreise. Im Alltagsleben ist zwar Design stärker in unserem Bewusstsein verankert, weil wir physisch damit in Berührung kommen und Designobjekte zudem eine unmittelbare optische Wirkung haben. Wie man sich in einer Stadt bewegt und was ein guter öffentlicher Raum ist, ist hingegen schwerer zu fassen. Raum stellt eine abstraktere Grösse dar. Dennoch ist das urbane Gefüge ebenso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger, geht es um ein positives Lebensgefühl in einer Stadt. 

Dass Kopenhagen 2023 von der Unesco und der UIA (International Union of Architects) nach Rio de Janeiro (2020) zur zweiten «World Capital of Architecture» ernannt wurde, hat nicht nur mit der beeindruckenden zeitgenössischen Architektur zu tun, auf die man in der Stadt überall trifft. Die Auszeichnung ist auch die Folge einer Serie von politischen Entscheidungen, die jetzt Früchte tragen. Von wegen, wir können nichts tun gegen den Klimawandel. Was die Pflege der gebauten Umwelt betrifft – und zwar ganz bewusst im Hinblick auf eine lebenswerte Zukunft –, hat Kopenhagen definitiv Vorbildcharakter. Dazu gehört auch die Pflege der Designkultur. Und das lässt sich mit Begriffen wie Lifestyle nicht adäquat beschreiben. Design hat in Dänemark wenig mit Trends zu tun, sondern mit einer grundlegenden Haltung gegenüber Gestaltung.

Fritz Hansen zeigte während der «3daysofdesign» seine Entwürfe auf der Halbinsel «Paper Island». Im Hintergrund sind Neubauten des dänischen Architekturbüros Cobe zu sehen. (Foto: Laura Stamer)

Was mich zurück zum Anlass meiner Reise führt, nämlich den «3daysofdesign»: Das Designfestival findet seit 2013 jährlich in Dänemarks Hauptstadt statt und hat sich zum wichtigsten Designanlass Skandinaviens entwickelt. Kann man eine Stadt in drei Tagen kennenlernen? Oder über 400 Events und Ausstellungen sehen? Kaum. Doch manchmal vermitteln gerade solche kurzen Full-Immersion-Besuche die Essenz eines Ortes. Im konkreten Fall hiess das auch zu sehen, dass Diversität ebenso zur Identität dieser Stadt gehört. Und so kamen auch die Aussteller der «3daysofdesign» aus den unterschiedlichsten Ländern und wetteiferten um die Aufmerksamkeit eines designaffinen Publikums. Und das sind die Däninnen und Dänen allemal. Gutes Design ist in Dänemark Teil der Alltagskultur. Während der Begriff Design hierzulande schnell den Nebengeschmack von Luxus für die Happy Few besitzt, scheint Gestaltung in Dänemark ein durch und durch demokratisches Kulturgut zu sein. Menschen würden im mehr Geld in Einrichtung investieren als anderswo in Europa, war verschiedentlich von lokalen Designschaffenden zu hören. 

Das könnte nicht zuletzt damit zusammenhängen, dass das dänische Designerbe für die heutige Generation von Gestaltenden nicht als Last oder Kreativitätskiller empfunden wird. Dass das erfolgreichste Kulturprogramm im Fernsehen «Danmarks næste klassiker» (Dänemarks nächste Klassiker) heisst, spricht Bände. Die Sendung –  im Juni wurde die letzte Folge der 5. Staffel ausgestrahlt – ist eine Art Realityshow und lässt das Publikum an der Entwicklung eines Möbelstücks teilhaben. Die Entwürfe überzeugen, wie eine Ausstellung an den «3daysofdesign» zeigte. Einzelne Hersteller ergriffen die Gelegenheit, die Journalistinnen und Journalisten auf neuste urbane Projekte und Bauten aufmerksam zu machen. Etwa Fritz Hansen, der zwei Gebäude auf der sogenannten «Paper Island» nutzte, um neue wie auch ikonische Entwürfe zu zeigen. Der Masterplan für die Entwicklung dieser Halbinsel stammt vom dänischen Architekturbüro Cobe. Es ist für eine Reihe wegweisender Projekte in Kopenhagen verantwortlich, darunter die Entwicklung des Nordhafens.

Terrasse des Cafés im Kulturgebäude «Blox» (Foto: Rasmus Hjortshoj)

Wie wichtig im Architekturdiskurs die richtige Vermittlung ist, zeigte ein Besuch im DAC, dem Danish Architecture Center. Seinen Vermittlungsauftrag nimmt das Zentrum ernst. 1986 gegründet, zog die Stiftung 2018 in ein eigens für das DAC entworfenes Gebäude im Zentrum der Stadt. Das etwas überdimensioniert wirkende Bauwerk namens «Blox» ist ein Entwurf des niederländischen Büros OMA und entstand unter der Leitung der OMA-Partnerin Ellen van Loon. Blox ist ein multifunktionales sechsstöckiges Kulturgebäude, das aus übereinander gestapelten Glaskuben besteht. Ausser dem DAC befinden sich in dem Neubau Büros, Co-Working-Plätze, eine Buchhandlung, ein Fitnessstudio, ein Spielplatz, ein Café, ein Restaurant, 22 Wohnungen und eine öffentliche Tiefgarage. 

Mit seinem Programm spricht das DAC verschiedene Arten von Nutzenden an und möchte dazu beitragen, das Sprechen und Nachdenken über Architektur «als Teil einer Lösung im Hinblick auf eine green transition» zu verstehen, wie eine Medienverantwortliche vor Ort sagte. Das DAC-Team bietet geführte Touren in der Stadt sowie andere Vermittlungsformate an und möchte damit ein breites Publikum für Architektur sensibilisieren. Bei meinem Besuch waren viele Familien zu sehen. Eine grosse Attraktion war die 40 Meter lange spiralförmige Rusche des deutschen Künstlers Carsten Höller, die über vier Stockwerke ins Erdgeschoss führt. Die eigentlichen Ausstellungsräumlichkeiten wirkten zwar etwas düster, die Ausstellungsthemen selbst aber durchaus zugänglich. Sie zeigen anschaulich, dass Architektur alle etwas angeht.

Das Projekt «Urban Rigger» vom bekannten Büro BIG stellt eine neue Typologie von Architektur dar: Die schwimmenden Studierendenwohnungen bestehen aus upcycelten Schiffscontainern. (Foto: Daniel Rasmussen)

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