Abgelehnt, ignoriert, bewundert
Elias Baumgarten
6. Mai 2021
Ausstellungsansicht mit freundlicher Genehmigung der Galerie Gmurzynska, © Zaha Hadid Design
Im März jährte sich der Tod von Zaha Hadid zum fünften Mal. Die Architekturszene nimmt davon überraschend wenig Notiz. Eine als Hommage gedachte Schau rückt die Begeisterung der Pritzkerpreisträgerin für die russische Avantgarde in den Fokus.
Gänzlich unerwartet verstarb Zaha Hadid im Frühling 2016 – im Alter von nur 65 Jahren, viel zu jung also. Die Nachricht verbreitete sich damals wie ein Lauffeuer, sie berührte auch sehr viele Nicht-Architekt*innen. Fünf Jahre sind seitdem ins Land gegangen. Doch wer anlässlich des fünften Todestages der Ausnahmearchitektin eine neue Auseinandersetzung mit ihrem Werk erwartet, sieht sich enttäuscht. Es ist überraschend still geworden um die Pritzkerpreisträgerin von 2004, nur wenig wird dieser Tage über ihre Arbeit publiziert, auch Ausstellungen sind rar gesät. Warum eigentlich? «Mit jeder neuen Jury-Prämierung und jedem fertiggestellten Bauwerk», schrieb der deutsche Journalist Norman Kietzmann 2016 in einem einfühlsamen Nachruf für BauNetz, «wuchs der Neid. Schliesslich boten die immer exzentrischeren Formen ein Maximum an Angriffsfläche. Je runder der Blob, desto freigiebiger konnte die gesamte Branche ihren Frust ablassen.» Gewiss ist, Zaha Hadids Architektur polarisierte: Während die einen begeistert waren und sie als Vorbild verehrten, konnten andere mit ihren Formen, die sich über die Jahre von kantig zu fliessend wandelten, kaum etwas anfangen. Manche wischten ihre späteren Entwürfe gar als «Mainstream» vom Tisch. Hinzu kommt ein Wandel in den Interessen vieler Architekt*innen: Als ich vor knapp zehn Jahren in Österreich studierte, wurde Hadid noch als Heldin gefeiert. Doch heute interessieren sich viele – gerade auch hierzulande – für die Baugeschichte, für das Referenzieren und Zitieren oder auch das traditionelle Handwerk und historische Bautechniken. Verkehrt ist daran nichts, im Gegenteil, doch weit weg scheint da Hadids Begeisterung für die (avantgardistische) Kunst. Hadid musste zeitlebens gegen grosse Widerstände ankämpfen, was der starken Architektin mitunter zu schaffen machte, wie der Zürcher Galerist Mathias Rastorfer weiss: Etwa die Zurückweisung ihres Projekts für das Olympiastadion von Tokio auf Betreiben der konservativen Architekten Toyo Ito und Fumihiko Maki habe sie hart getroffen, erzählt er mir inmitten der Ausstellung «Abstracting the Landscape», die aktuell in der Galerie Gmurzynska zu sehen ist.
Ausstellungsansicht mit freundlicher Genehmigung der Galerie Gmurzynska, © Zaha Hadid Design
Ausstellungsansicht mit freundlicher Genehmigung der Galerie Gmurzynska, © Zaha Hadid Design
Die Schau entstand, um Zaha Hadid zu ihrem fünften Todestag die Ehre zu erweisen und der Wertschätzung des Teams der Galerie für sie Ausdruck zu verleihen: Über zehn Jahre ist es inzwischen her, dass jenes für die Ausstellung «Zaha Hadid and Suprematism» erstmals mit ihr zusammenarbeitete. 2016 folgte eine weitere Schau, diesmal zum 100-Jahr-Jubiläum des Dadaismus über Kurt Schwitters (1887–1948). Ein herzerwärmendes Detail: Alle Mitarbeiter*innen, mit denen ich während meines Besuches spreche, reden nur in den höchsten Tönen und mit ehrlicher Begeisterung von Hadid.
«Abstracting the Landscape» besteht vor allem aus Zeichnungen und Designobjekten; insbesondere Möbelstücke, aber beispielsweise auch ein Teppich sind zu sehen. Doch auch Architekturbegeisterte kommen auf ihre Kosten: Gleich beim Eingang warten Modelle des nicht ausgeführten Projekts für den Kölner Rheinauhafen. Der Fokus der Schau liegt auf Hadids grossem Flair für Kunst und Architektur der russischen Avantgarde – kein Wunder, teilte sie dieses doch mit dem Team der Zürcher Galerie. Nachdem Elia Zenghelis, Hadids Lehrer an der AA in London, den sie sehr schätzte, sie auf den Konstruktivismus aufmerksam gemacht hatte, wurden Kasimir Malewitsch (1879–1935), El Lissitzky (1890–1941), aber auch Alexander Rodtschenko (1891–1956) zu ihren wichtigsten Vorbildern. Überhaupt sei Hadid eine grosse Kunstkennerin gewesen, eine Art wandelndes Lexikon, erzählt Rastorfer, der mit ihr für die British Broadcasting Corporation (BBC) an einer Dokumentation über Malewitsch gearbeitet hat und mit dem sie über Jahre eng befreundet war. In ihren frühen Zeichnungen – einige beeindruckende Beispiele sind in Zürich zu sehen – ist ihre Vorliebe für die russische Avantgarde denn auch unmittelbar offensichtlich. Aus heutiger Sicht erscheinen diese Arbeiten als Kunstwerke für sich. Doch Hadid selbst habe sie nie als Kunst gesehen, erinnert sich Rastorfer – für ihn als Kunsthändler nicht ganz einfach, wie er schmunzelnd anfügt. Vielmehr seien die abstrakten Bilder für sie immer schlicht Werkzeuge zur Formfindung gewesen, Hilfsmittel, um eine neue Architektursprache zu entwickeln, ein Experimentierfeld. Sobald eine Zeichnung fertig war, so der Galerist mit einem fröhlich-nostalgischen Ausdruck, habe Hadid sich postwendend der nächsten zugewandt. Ihn hätten ihre enorme Schaffenskraft, ihre unstillbare Neugier und ihre Abneigung gegen unproduktive, ungenutzte Zeit fasziniert und an Karl Lagerfeld (1933–2019) erinnert, den er ebenfalls sehr gut kannte. Beide hätten übrigens, ergänzt Rastorfer, völlig zu Unrecht im Ruf gestanden, schwierige Persönlichkeiten zu sein. Sie seien einfach stets extrem fokussiert gewesen. Vielleicht, so möchte man anfügen, hat in Hadids Fall auch die häufige Ablehnung und die Tatsache, dass sie sich – wie auch Lagerfeld – durchkämpfen musste, zu einer für Aussenstehende harten Schale geführt.
Ausstellungsansicht mit freundlicher Genehmigung der Galerie Gmurzynska, © Zaha Hadid Design
Ausstellungsansicht mit freundlicher Genehmigung der Galerie Gmurzynska, © Zaha Hadid Design
Aber von Rastorfers schönen Erinnerungen zurück zur Schau: Warum lohnt sich der Besuch? Dem Galeristen und seinem Team – nebenbei bemerkt dasselbe wie schon an der ersten Hadid-Ausstellung im Kunstraum am Paradeplatz im Jahr 2010 – ist es mit wenigen Exponaten gelungen, einen aussagekräftigen Einblick in Hadids Schaffen zu geben und die enorme Bandbreite ihrer Arbeit aufzuzeigen. Einzig hätte man sich aus architektonischer Sicht am Ende doch einige Ausstellungsstück zu Projekten wie der Vitra Feuerwache (1993) gewünscht, bei denen der Einfluss der Beschäftigung mit der russischen Avantgarde besonders deutlich zutage tritt. Allerdings: Um die Schau voll zu geniessen, braucht es entweder grosses Vorwissen oder eine fachkundige Führung. Es wird deutlich, wie sehr die Wurzeln der Architektur der Pritzkerpreisträgerin in der Kunst zu suchen sind – auch wenn ihre neueren Projekte auf manche wie Computer-Spielereien wirken mögen. Ernstzunehmende Gestaltung entspringt eben immer einer starken Haltung und ist niemals eine Sache des Geschmacks – gleichgültig, ob man sie schätzt oder nicht.