Zentrum Paul Klee
Text: Benedikt Loderer
Fotos: Wilfried Dechau
Das Zentrum Paul Klee in Bern hat am 20. Juni seine Pforten geöffnet. Das organisatorische Kalkül verband sich mit der Willkür der Formerfindung. Renzo Piano hat das zeitgenössische Museum neu entwickelt. Das Zentrum Paul Klee ist kein Kunsttempel, sondern ein Freizeitgerät.
Als 1977 das Centre Pompidou in Paris eröffnet wurde, war es die vom Publikum bejubelte, von den Architekten misstrauisch bewunderte ‹Sensation des Jahrzehnts›. Beim Zentrum Paul Klee ist die Stimmung ähnlich, den Leuten gefällts, die Architekten zucken die Schultern. In beiden Fällen erfand Renzo Piano das Museum neu, beide Male baute er eine funktionalistische Maschine für die Bewältigung der Besuchermassen und machte aus ihr trotzdem ein weitwirkendes Architekturzeichen. Organisatorisches Kalkül verbindet Piano mit der grossen Geste. In Bern begann es damit, dass Piano durchsetzte, statt auf dem kleinen Stück Land, das Maurice E. Müller vorgesehen hatte, auf dem grossen städtischen daneben zu bauen. Piano veränderte vom Start weg den Massstab ins Grosse, statt ein Gebäude baute er Landschaft. Er brauchte Platz für die drei Wellen. Sie werden, einmal eingewachsen, wie vom Aaregletscher geformt wirken. Selbstverständlich sind sie nicht mit der Aufgabe Museum zu begründen. Sie sind eine willkürliche Formerfindung: Piano wollte Hügel bauen. Er hat uns alle überzeugt, geben wirs doch zu: Sie sind hinreissend.
Was ist das Problem eines heutigen Museums? Sein Erfolg. Bewahren, Forschen, Zeigen soll das Museum, doch erst die Besuchermassen sind heute seine gesellschaftliche Rechtfertigung. Das Zentrum Paul Klee ist keine Insel des stillen Schauens, sondern einer der Motoren der Kulturindustrie. Piano verdrängt das nicht, er organisiert diese Maschine. Er wendet das alte Rezept der Schichtung an. Das Haus hat nur eine Fassade, damit ist das Vorn und Hinten festgelegt. Hori-zontale Erschliessung, Publikumsräume, Aktivitäten ZPK, rückwärtige Erschliessung sind die Nutzungsschichten von vorn nach hinten. Damit trennt Piano den gehobenen Jahrmarkt der Museumsstrasse von der stillen Betrachtung der Kunst. In der Museumsstrasse ist die Konsumation zu Hause, im Ausstellungssaal die Kontemplation. Dazwischen liegt eine Schwelle, das ist der Ort, wo man die Schuhe auszieht. Kurz, die Organisation der Nutzungen ist vernünftig, die Erschliessung funktioniert. Betrachtet man die Grundrisse, sieht man: Es war ein Funktionalist am Werk. Die disziplinierte Ordnung der Grundrisse wird allerdings vom Pathos des Wellenschwungs überlagert. Das ist das offene Geheimnis des Entwurfs. Das Pathos seinerseits ist von konstruktiver Raffinesse. Man muss sich die Dreiwellenfront senkrecht und geradlinig vorstellen, um zu ermessen, wie die Neigung und die Krümmung aus einer starren Silhouette eine lebendige Bewegung machen. Piano hat die Möglichkeiten,die Computer-Architekten bieten, ausgeschöpft: Er erreicht den Spitzenstand der Konstruktionskunst, was an der Fassade allerdings zu viel Formaufwand und Herzeigen führt.
Der zweideutige Raum
Entscheidend aber ist
das Allerheiligste, der Ausstellungssaal. Der sah während der
Bauarbeiten wie ein Hangar aus und man fragte sich angstvoll, was aus
Klee darin werden soll.Gebetsmühlenartig wurde das Argument wiederholt,
die kleinen Formate Klees bedürften der Intimität und passten nicht in
eine Halle. Piano foutierte sich darum. Die Hügel sind wichtiger als
das Murren der Kollegen. Ist es ein Einraum oder ist es eine Folge von
Kabinetten? «Der Raum ist zweideutig, jedoch in der Kunst ist
Zweideutigkeit keine schlechte Sache, weil sie auch Vieldeutigkeit
bedeutet», betonte Piano im letzten Hochparterre. Er hängte
Wandscheiben an der Wölbung auf, sie grenzen aus dem grossen Saal
Raumabschnitte aus. Darüber spannte er Textildecken auf, an Rahmen
befestigte halbtransparente Stoffbahnen. Pianos Saal ist ambivalent,
einmal befindet man sich in einer Halle, dann in einem Zimmer. Renzo
Piano wollte einen schwebenden Raum schaffen, er muss damit einen
zwischen Einraum und Raumfolge oszillierenden gemeint haben. Genau das
hat er erreicht. Die Architekten schütteln den Kopf, die Leute jedoch
betrachten die Bilder, denn eines ist eindeutig: Klees Bilder bewahren
ihre Aura, es gibt keinen Zusammenhang zwischen den Formaten der
Kunstwerke undder Grösse des Saals. Es herrscht reines Kunstlicht, die
Empfindlichkeit der Bilder erforderte das. Es gibt keinen Austausch
zwischen dem Draussen und Drinnen, man sitzt im regelmässig
ausgeleuchteten Hügelbauch. Trotz der geringen Lichtstärke herrscht
eine heitere Feierlichkeit. Ein Betsaal, keine Kirche, profan, nicht
heilig. Nebenbei bemerkt: Der Raum ist flexibel und neutral, wie es dem
Kurator dient, das Gegenteil des Saals im Kunsthaus Graz (HP 11/03).
Was aber ist neu an diesem Museum? Es ist ein Mehrzwecksaal der Künste. Für Konzerte oder Filme gibt es ein Auditorium, für Konferenzen ein Forum mit Seminarräumen, für die Forschung Platz, für die Kinder Kunsterziehung, für das Museum Werkstätten, bewusst wurde das Museum zum Zentrum erweitert. Ein Blick auf die Grundrisse zeigt: Die eigentliche Ausstellung beansprucht weniger als einen Drittel aller Flächen. Die Museumsstrasse wurde zum wichtigsten Raum, dem auch der grösste architektonische Aufwand geschenkt wurde. Wie beim Pompidou die aussenfahrenden Rolltreppen, ist auch im Zentrum Paul Klee die Publikumserschliessung das Rückgrat der Anlage. Das neue Museum ist kein Kunsttempel, es ist ein Freizeitgerät.
Zentrum Paul Klee
2005
Monument im Fruchtland 3
3006 Bern
Bauherrschaft
Maurice E. und
Martha Müller Foundation
Bern
Architekten
Renzo Piano Building Workshop
Paris
ARB Arbeitsgruppe
Bern
Bauingenieure
Ove Arup and Partners
International Ltd.
London
B + S Ingenieure
Bern
Stahlbau
Zwahlen & Mayr
Aigle
Fassadenbau
Tuchschmid
Frauenfeld
Dachsystem
Sarnafil
Sarnen
Direktauftrag
Gesamtkosten
CHF 110 Mio.