Wohn- und Geschäftsüberbauung Pulvermühle
Nutzungshybrid
Conradin Clavuot
9. November 2017
Aussenansicht. Bild: Ingo Rasp photography
Hundertachtundvierzig Wohnungen, ein Ingenieurbüro, ein Café, eine Kindertagesstätte und eine Kletterhalle in einem Haus – das Büro Clavuot dipl. Architekt ETH/SWB beschreibt das kürzlich fertiggestellte Objekt.
Name des Bauwerks Wohn- und Geschäftsüberbauung Pulvermühle
Nutzung Wohnungsbau, Gewerbe- und Bürobau, Kletterhalle
Ort Pulvermühlstrasse 8 – 42, 7000, Chur, Graubünden
Auftragsart Architekturwettbewerb
Bauherrschaft AXA Leben AG, 8401 Winterthur, ZH | Vertreten durch: AXA Investment Managers Schweiz AG, 8050 Zürich, ZH
Architektur Clavuot dipl. Architekt ETH / SWB, 7000 Chur GR | Beteiligte MitarbeiterInnen: Conradin Clavuot, Rafael Falk, Romano Candinas, Lara Klinger, Sara Wettstein, Patricia Santos, Stephanie Jäger, Eric Eberhard
Fachplaner Bauingenieur: Liesch Ingenieure AG, 7000 Chur, GR | Elektroingenieur: Nay + Partner AG, Ingenieurbüro für Elektrotechnik, 7000 Chur, GR | Heizung, Sanitär, MSRL- Technik:
Willi Haustechnik AG, 7000 Chur, GR | Geologe: Impergeologie AG, Geologie und Umweltfragen, 7304 Maienfeld, GR | Lüftungsingenieur: Ospelt Haustechnik AG, 9490 Vaduz, Lichtenstein | Bauphysik (Planung): Lenum AG, 9470 Vaduz, Lichtenstein | Bauphysik (Bauüberwachung):
Lazzarini AG, 7000 Chur, GR
Bauleitung Lazzarini AG, 7000 Chur, GR
Jahr der Fertigstellung 2017
Gebäudevolumen (SIA 416) 91'689,61 m3
Energiestandard Minergie zertifiziert
Fotos Clavuot dipl. Architekt ETH / SWB, Ingo Rasp photography
Innenhof. Bild: Clavuot dipl. Architekt ETH / SWB
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?
Eine wesentliche Besonderheit dieser Bauaufgabe war sicherlich der Städtebau. Die bauliche Umgebung in der wir unseren Neubau planten war sehr heterogen. Uns war bereits in der frühen Phase der Planung klar, dass wir an dieser Stelle einen städtebaulichen Akzent setzten wollen. Ziel war eine Überbauung zu planen, die ein eigenständiges Quartier mit hoher Aufenthalts- und Lebensqualität bildet. Dies erzeugten wir auf vielfältige Art und Weise. Beispielsweise mit der Generierung von verschiedenen Park- und Platzsituationen (öffentlich/halböffentlich/privat). Für die Qualität des Quartierparks hat auch die Organisation der Tiefgarage eine wichtige Rolle gespielt. Dadurch, dass sie dem Gebäudeverlauf folgt und den Park ausspart, hatten wir die Möglichkeit hochstämmige Bäume zu pflanzen.
Eine weitere Besonderheit war das gewünschte Nutzungsprogramm der Bauherrschaft. Sowohl Gewerbefläche und ein klar definierter Wohnungsmix als auch ein Kletterzentrum mussten in das neue Gebäude integriert werden. Allein die verschiedenen Massstäbe waren hier eine Herausforderung. Entstanden ist ein polygonaler, mäandrierender Baukörper der mit zwei Kopfbauten seine Form abschliesst. Der erste Kopfbau beinhaltet eine Bäckerei mit Café und eine Kindertagesstätte. Der zweite Kopfbau beinhaltet das neue Kletterzentrum.
Detailaufnahme Fassade. Bild: Clavuot dipl. Architekt ETH / SWB
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?
Wenn wir intern im Büro das Gebäude in den verschiedenen Planungsphasen diskutiert haben, fielen oftmals die beiden Begriffe «Riverboat» und «Schrebergarten» als Assoziationen. Beide Begriffe versinnbildlichen zwei verschiedenen Ausdrucksformen des Hauses: Zum einen wollten wir ein sehr edel wirkendes, kultiviertes Haus bauen: die druckimprägnierte Holzfassade steht beispielsweise in einem gewollten Kontrast zu den filigranen weissen Fassadenbändern. Sozusagen die Assoziation zum «Riverboat». Auf der anderen Seite die Analogie zum überspitzten Begriff des «Schrebergarten»: Vor- und Rücksprünge des Gebäudes – besonders im Attikageschoss – sowie die polygonale Gebäudeform brechen die grossformatige Bauform und geben dem Haus einen menschlichen und wohlvertrauten Massstab. Die Fassade wird in kleine Einheiten aufgeteilt.
Detailaufnahme Geländer. Bild: Ingo Rasp photography
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?
Der kulturelle und topografische Ort spielt für uns immer eine zentrale Bedeutung. In diesem Fall sollte das neue Haus wie oben beschrieben selbstbewusst und ausdrucksstark der umgebenden Bebauung einen Mehrwert verleihen.
Dabei steht das Gebäude zwischen Stadt und Peripherie – sowohl die Altstadt als auch die unbebaute Natur sind fussläufig in kurze Distanz erreichbar. Beide Umgebungsformen haben Eingang in unseren Entwurf und in den Ausdruck des Hauses gefunden. Auf einer Seite ist das Gebäude in seinem Volumen, in seinen Dimensionen und in seinem Charakter sehr städtisch. Zugleich hat es aber auch eine starke Analogie zum ländlichen und dörflichen Leben. Die druckimprägnierte, dunkelbraune Holzfassade beispielsweise steht in direkten Bezug zu diesem Leben. Ebenso zeugen die von Hand gedrehten Staketen von einer hohen handwerklichen Qualität.
Luftbild. Bild: Ingo Rasp photography
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren NutzerInnen den Entwurf beeinflusst?
Die Vorgaben zu Wohnungsmix und Wohnungsgrössen der AXA waren von Anfang an klar definiert. In einer Vielzahl ausführlichen und speditiven Besprechungen gewann das Gebäude in der Planungsphase immer weiter an Qualität. Das betraf beispielweise die Materialien im Innen- wie im Aussenraum bis hin zu den Detaillösungen in der Konstruktion und in der Umgebungsgestaltung. Wir waren sehr froh, mit solch einer professionellen und anspruchsvollen Bauherrschaft zusammenarbeiten zu dürfen.
Besonders auch bei der Planung des Kletterzentrums haben wir die Zusammenarbeit mit dem zukünftigen Nutzer sehr geschätzt. In diesem Sinne ist ein Zentrum entstanden, die weit mehr als eine konventionelle Sportstätte ist.
Innenaufnahme Wohnung. Bild: Ingo Rasp photography
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten des Büros ein?
Sicherlich ist das Gebäude in seinem Ort und in seiner Grösse wichtig für Chur. Insofern bildet es die Fortsetzung verschiedener anderer Gebäude die wir in Chur realisieren durften. Ich denke da beispielsweise an den Churer Bahnhof oder an die Wohn- und Geschäftshäuser Otto und Alex.
Der formale Ausdruck ist jedoch vollkommen verschieden zu den oben genannten Bauwerken. So wie jeder Bauplatz und jeder Kontext verschieden ist, so reagieren wir auch mit unseren jeweiligen Häusern völlig unterschiedlich und der jeweiligen Situation angemessen.
Kletterzentrum. Bild: Ingo Rasp photography
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?
Die Wahl der Materialien im Innenraum wie auch an der Fassade und die damit verbundene Tektonik und Materialästhetik stehen in engen Zusammenhang mit dem statischen System und den ordnenden Prinzipien. Das Gebäude organisiert sich dabei wie folgt: Der Kern der «Schlange» mit den Steigzonen und den Nasszellen steift das Haus statisch aus. Es bildet gewissermassen das «Rückgrat» des Hauses. Dies zeigen wir auch gestalterisch durch die mit Holz verschalten inneren Bereiche der Wohnungen (Garderoben, Nasszellen) die eine geringere lichte Raumhöhe besitzen.
Orthogonal zur Fassade tragen einzelne Betonschoten das Gebäude und bilden zugleich die Wohnungsunterteilungen. Diese Struktur ist auch in der Fassade ablesbar. Die nichttragende Aussenfassade ist sowohl im Inneren als auch aussen in Holz ausgeführt und materialisiert.
Generell war es uns wichtig Materialien einzusetzen, die sowohl im richtigen Verhältnis zueinander stehen als auch natürlich und vertraut sind: geschlämmter Beton, Holz, Kupfer, feuerverzinkter Stahl.