Stein-Geschichten
Manche Materialien haben sich seit Jahrtausenden immer weiter entwickelt und bereichern heute als technologisch ausgereiftes Produkt die Bauwelt. Störmer Murphy and Partners aus Hamburg laden bei ihrem Tagungshotel Kloster Haydau beispielhaft zu einer kleinen Zeitreise des: Steins.
Beton – so denken viele – ist der legitime Nachfolger des Natursteins. Grob gesagt hat Beton tatsächlich ähnliche Eigenschaften, ist ausserdem aber in jede beliebige Form giessbar, besitzt eine homogene Struktur, kann mit Stahl verstärkt werden und vieles mehr. Bautechnisch gesehen ist Beton also ein sehr vielseitiges Produkt. Dumm nur, dass die meisten Menschen mit Architektur vor allem aus sichtbarem Beton nicht viel anfangen kann. Es sind alte Gräben, die sich da auftun: In den Augen des Architekten sind blanke Betonwände oft schlicht schön, das Volk aber lehnt sie kategorisch ab. Das ist gefühlt schon immer so und wird sich auch nur schwerlich ändern. Ganz anders beim Naturstein. Ob Sandstein, Muschelkalk, Marmor oder Granit: Naturstein wird gemocht und immer als schön empfunden – wahrscheinlich weil jeder Stein seine eigene, Jahrmillionen alte Geschichte in sich trägt, die den Betrachter auf emotionaler Ebene packt. Häuser aber können nicht immer nur aus Naturstein gebaut werden, das hat der Mensch im Laufe der Baugeschichte relativ schnell verstanden. Und so hat er den Ziegelstein erfunden, bei dem natürliche Grundstoffe zu Mauersteinen geformt und gebrannt werden, die sich nun praktisch, schnell und mit etwas Mörtel als Fugenausgleich zur Mauer stapeln liessen. Diese Erfindung ist mittlerweile auch schon einige Jahre alt, und der Ziegelstein hat sich als Backstein als «schönes» Material in unser kollektives Gedächtnis gebrannt. Feinsteinzeug dagegen ist ein noch wirklich junges Material. Anfang des 18. Jahrhunderts erfunden machten es vor allem neue Brennverfahren um 1980 möglich, Feinsteinzeugfliesen bei derartig heissen Temperaturen bis zu 1300 °C in hohen Qualitäten zu produzieren. Gemeinsam ist ihnen der Ton, der Grundstoff sowohl von Backsteinen als auch von Feinsteinzeug ist – und ihnen diesen «natürlichen» Charakter verleiht, den man beim Beton wohl vermisst, obwohl letzterer streng genommen auch (fast) nur aus natürlichen Grundstoffen besteht. Schönheit ist Geschmackssache.
Feinsteinzeug jedenfalls ist aus der gegenwärtigen Architektur nicht mehr wegzudenken. Bewusst geworden ist uns das wieder einmal beim Tagungshotel des Klosters Haydau in Morschen bei Kassel, gebaut 2013 von Störmer Murphy and Partners aus Hamburg. Die Geschichte des Klosters reicht bis ins 13. Jahrhundert, genau gesagt in den Januar 1235, als es als Zisterzienserinnenkloster gegründet wurde. Um mit den fast 800 Jahre alten Fassaden der Klosterkirche sowie der angegliederten, langgestreckten Wirtschaftsgebäude zu korrespondieren, haben die Architekten zusammen mit dem Hersteller für die Fassade einen eigens für das Projekt entwickelten Backstein verwendet, der sich farblich wie haptisch den an diesem Ort vorherrschenden Materialien anpasst. Er wurde dann bewusst chaotisch vermauert, um der Wand eine Lebendigkeit zu verleihen. Auf dem durch den Hotelriegel neu entstandenen Kirchplatz spannt sich so zwischen dem Kirchenbau und dem Hotel ein Raum auf, in dem Alt und Neu, Damals und Heute deutlich spürbar werden. Noch prägnanter wird dieses Spiel mit der Zeit im Innenraum des Hotelneubaus: Der Raum dort wird bestimmt durch Feinsteinzeug am Boden und teilweise an den Wänden, dessen Materialcharakter in direkter Linie zum alten Naturstein des Bestands und dem Backstein der Fassade liegt, nur hier in einer feineren, perfekteren und technisch hochentwickelten Variante. Die Feinsteinzeugfliesen – der Firma Mirage aus der norditalienischen Universitätsstadt Modena – sind in verschiedenen Produktvarianten verbaut: Area und Cementi 2.0, im Spa an den Wänden als glatte Ausführung und am Boden als geflammte Variante, wegen der Rutschfestigkeit. Und als wäre diese Reise durch die Geschichte der Materialien an diesem Punkt nicht schon genug gewesen, wartet auf den Hotelbesucher im Hotel-Café der Schulterschluss zurück in die Vergangenheit, nämlich als historisches Fragment einer alten Klostermauer, über die letztendlich das gesamte Haus gebaut wurde. So gelingt Störmer Murphy and Partners beim Tagungshotel Kloster Haydau ein Spagat, den nur wenige schaffen: Die respektvolle Verbindung von Alt und Neu, mithilfe der Erzählung der Geschichte des Materials: vom Naturstein über den simplen Backstein bis zum modernen Feinsteinzeug und zurück. Wunderbar poetisch!
Modena, IT
Hersteller-Kompetenz
Feinsteinzeug Cementi 2.0
Feinsteinzeug Area
Projekt
Hotel Kloster Haydau
Morschen, D
Architekt
Störmer Murphy and Partners
Hamburg, D
Bauherr
B. Braun Melsungen AG
Melsungen, D
Wettbewerb
2009, 1. Preis
Tragwerksplanung
Ingenieurbüro Dr. Binnewies GmbH
Hamburg, D
Landschafts- und Freiraumplanung
Projektbüro Stadtlandschaft
Kassel, D
Vermessung
Vermessungsbüro Dipl.-Ing. Reiner Brauroth
Kassel, D
Lichtplanung
Hamburg Design GmbH – Licht
Hamburg, D
Küchenplanung
K3 Planungsgesellschaft mbH & Co. KG
Berlin, D
Bauphysik
Kurz und Fischer GmbH
Winnenden, D
Brandschutzgutachter
Neumann Krex & Partner
Meschede, D
Haustechnik HLSK und Elektro
Schnepf Planungsgruppe Energietechnik GmbH & Co. KG
Nagold, D
Baugrundgutachter
Roland Schottes
Söhrewald-Wellerode, D
Hotelkonzeption
Zimcon International
Berlin, D
Projektmanagement
Drees & Sommer Stuttgart GmbH
Stuttgart, D
Fertigstellung
2013
Fotografie
Ali Moshiri
Projektvorschläge
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