Klare (Sicht-)Verhältnisse
Thomas Geuder
13. de març 2013
Das Haus G in Inning bei München öffnet sich zum nahe gelegenen Ammersee, der Teil des bayrischen Fünfseelandes ist. (Foto: Brigida González)
Ein Fenster hat gemeinhin die Aufgabe, Licht und Luft hinein zu lassen und trotzdem eine (thermische wie psychologische) Grenze zwischen drinnen und draussen zu sein. Was aber passiert, wenn das Fenster als solches fast nicht mehr zu sehen ist? Das Haus G am Ammersee gibt eine Antwort.
Der Weg, den das Fenster in der Architektur bis heute durchlaufen hat, ist schon erstaunlich. Einst war es die notwendige Öffnung der Mauer zur Belüftung, doch mit der Erfindung des Glases avancierte es vergleichsweise schnell zum wichtigen Stilelement. Ihr Übriges tat die Bautechnik zu dieser Entwicklung: Immer gewagtere Konstruktionen führten im Laufe der Jahrhunderte zu immer weniger Wand und immer grösseren Fensterflächen. Bis schliesslich die Wand völlig überflüssig und Anfang des 20. Jahrhunderts durch die vorgehängte Glasfassade ersetzt wurde. Soweit im Schnelldurchlauf die Baugeschichte des Fensters. Heute sind Glasfassaden gängiges Ausdrucksmittel der Fassadengestaltung, mit all seinen Vor- (Helligkeit, Wertigkeit, Philosophie der Transparenz etc.) und Nachteilen (solare Erwärmung, Notwendigkeit der Verschattung wegen Bildschirmarbeit, Klimatisierung etc.). Im Wohnungsbau allerdings hat sich die Glasfassade allerhöchstens beim Wintergarten durchsetzen können. Das Zuhause ist eben doch ein Ort des Zurückziehens. Hier soll die Grenze zwischen privat und öffentlich deutlich vollzogen werden können – und das geht nun mal am besten mit der altehrwürdigen, undurchsichtigen Wand.
Die klassische Moderne mit ihrer gänzlich revolutionierten Sicht auf die Statik – Stichwort: Domino Haus, also ein von statischen Zwängen frei gestaltbarer Grundriss – hat noch etwas anderes hervorgebracht, nämlich den fliessenden Raum, d. h. die räumliche Kontinuität im Gebäude. Innenräume konnten nun nahezu grenzenlos den Bedürfnissen des Bewohners angepasst werden – ein wichtiger Aspekt für Otto Häuslebauer, der im Leben schliesslich nicht allzu oft ein eigenes Haus baut. Von den architektonischen Errungenschaften dieser Zeit zehren wir noch heute, und so ist es im Wohnungsbau vor allem wichtig, das richtige und höchst individuelle Gleichgewicht von offen und geschlossen zu finden, durch die richtige Anordnung von Mauer da, wo Blicke unerwünscht, und Fensteröffnung dort, wo Lichteinfall sowie Ausblick gewollt sind.
Innen- und Aussenraum fliessen ineinander – die Grenze zwischen beiden wird lediglich durch eine schmale Linie im Boden markiert. (Foto: Brigida González)
Ganz abgesehen von der Theorie aber: Wer liesse sich nicht begeistern von fliessenden Räumen, von geschickt inszenierten räumlichen Zusammenhängen und vom Gefühl der Weite und Tiefe? Für genau diese Art des Raumbegriffs hat Otto die schweizer Firma Sky Frame ausgemacht, die sich – vordergründig betrachtet – auf grosse Fenster spezialisiert hat. Taucht man etwas tiefer ein, so ist «Fenster» schon nicht mehr ganz der richtige Ausdruck. Denn die Fenster von Sky Frame sind eigentlich gar nicht da! Ihre Rahmen verschwinden komplett in Wand, Boden oder Decke. Übrig bleibt lediglich ein schmaler Umfassungsrahmen für die bis zu vier Meter hohen Scheiben mit einer Breite von verschwindend geringen 20 Millimetern aus Aluminium. Für Stabilität sorgt darunter ein Glasfaserprofil, das die Isolierglasscheiben komplett umläuft. Auch auf die Option der motorischen Betätigung muss trotz dieses schmalen Aufbaus nicht verzichtet werden, und die Dämmwerte sind mit dem Minergie-Standard besiegelt. Schön für die Architektur vor allem ist, dass die Übergänge schwellenlos sind und dadurch nur durch eine Linie markiert werden. Voller Durchblick also – welcher Raum-Fan sollte angesichts solcher Aussichten nicht ins Schwärmen geraten?
Zimmer mit uneingeschränktem Ausblick: Auch vom Bett im Obergeschoss aus lässt sich das Naturidyll geniessen. (Foto: Brigida González)
Eingebaut haben wir das gesehen beim Haus G am Ammersee bei München, bei dem die Architekten von ATP sphere das Spiel zwischen innen und aussen perfektioniert haben. Das Grundstück des Hauses G – eigentlich zwei Häuser für zwei Brüder, wir aber betrachten nur das südliche – liegt am Ostufer des Ammersees im bayrischen Fünfseeland, getrennt von diesem lediglich durch einen Streifen Naturschutzgebiet. Für die Architektur bedeutet diese Lage natürlich: Das Haus muss sich in Richtung See strecken und möglichst viel von dieser Atmosphäre einfangen. Das gilt vor allem für den Innenraum, von wo aus so wenig wie möglich den Blick in die Landschaft verstellen darf. So bilden Küche, Ess- und Wohnbereich einen fliessenden Raum, der sich vollkommen zum See öffnet. Lediglich das Gebäude selbst rahmt den Blick ein. Im Erdgeschoss lassen sich drei der insgesamt 6 Flügel über Eck öffnen, im Obergeschoss sogar drei der vier. Eine Besonderheit hier: Die Gläser des Schlafzimmers im Obergeschoss lassen sich sogar komplett öffnen – nichts für Schlafwandler also. Garten und Terrasse sind als Erweiterung des Innenraums zu verstehen, wobei der Bauherr das Grundstück sogar tiefer legten liess, um am Ende die baurechtlich vorgeschriebene maximale Höhe des Gebäudes nicht zu überschreiten und gleichzeitig die gewünschte Raumhöhe zu erhalten. «Ich schätze die Offenheit und die klaren Verbindungen zwischen den Innen- und Aussenräumen, zwischen Haus und Landschaft», beschreibt der Bauherr, und es wird deutlich: Die Fenster im Haus G setzen dem Raum keine Grenze – vielmehr scheint gerade ihr Dasein auf die unzertrennbare Verbindung zwischen innen und aussen subtil hinzuweisen. Nicht auszudenken, wären Sie gar nicht da! Man wüsste gar nicht, wo eigentlich drinnen und wo draussen ist!
Fliessende Räume: Die Bereiche sind so miteinander verknüpft, dass auch von Küche und Esszimmer aus der Blick in die Ferne schweifen kann. (Foto: Brigida González)
Die Innenräume sind beinahe durchgehend in Weiss gehalten. Das verstärkt die Wirkung der Natur im Aussenraum zusätzlich. (Foto: Brigida González)
Viele Trennwände bestehen aus Glas, damit das Licht und letztendlich die Natur so tief wie möglich ins Gebäude eindringen können. (Foto: Brigida González)
Lageplan
Grundriss Obergeschoss
Grundriss Erdgeschoss
Lediglich eine dünne Profillinie bleibt übrig, wenn die Schiebefenster geschlossen sind. (Foto: Brigida González)
Selbst die Dreifachverglasung (Sky Frame 3) besitzt wie die Doppelverglasung (Sky Frame 2) nur extrem schmale Ansichtsprofile. Im Detail: Vertikal- und Horizontalschnitt System Sky Frame 3.
Beispiele Öffnungsvarianten
3D-Schnitt:1 Einfache Handhabung mit formschönen Beschlägen. 2 Nur 2 cm Sprossen-Ansichtsbreite. 3 Hochisolierende Gläser bis zu Ug = 0.5 W/m2K. 4 Barrierefreies Bauen durch Schwellenlosigkeit. 5 Systemrinne mit Chromstahl- abdeckung. 6 Thermisch getrenntes Sockelprofil mit normengerechter Abdichtebene
So offen die Gebäude zur Seeseite sind, so verschlossen geben sie sich zur Strassenseite. (Foto: Brigida González)
Auch der Innenraum des brüderlichen Nachbarn öffnet sich grosszügig gen See, wenn auch mit einer unterschiedlichen Raumaufteilung. (Foto: Christian Schmidt)
Ellikon an der Thur, CH
Hersteller-Kompetenz
Sky Frame
Projekt Haus G, Inning am Ammersee, D
Architektur ATP sphere, Innsbruck, AT
Ausführungsplanung Bembé Dellinger, Greifenberg, D
Bauherr privat
Fertigstellung 2009
Fotonachweis Brigida González, Christian Schmidt
Projektvorschläge
Sie haben interessante Produkte und innovative Lösungen im konkreten Projekt oder möchten diesen Beitrag kommentieren?
Wir freuen uns auf Ihre Nachricht!