Zukunftsgerechte Architektur – ohne Architekten?

Manuel Pestalozzi
5. de setembre 2016
Es hätte noch Platz gehabt. Der Tageskurs des energie-cluster.ch in Regensdorf war nicht besonders gut besucht. Bilder: Manuel Pestalozzi

2. September 2016, Tatort ist das Auditorium der Fernfachhochschule Schweiz in Regensdorf bei Zürich. «Es ist eine Katastrophe», murmelt Dr. Ruedi Meier, Präsident des energie-clusters.ch, der hier den Tageskurs «Zukunftsgerechte Architektur» durchführt. Der beratende Oekonom und Forscher in den Bereichen Wirtschaft, Verkehr, Energie und Umwelt mag etwas zur Übertreibung tendieren, wenn er die mangelnde Beteiligung der Architektinnen und Architekten kommentiert. Aber der «Aufbruch mit den neuen Standards SNBS, Plusenergie-Gebäude (SIA 2031), Minergie, GEAK, MuKEn», welcher der Tageskurs verheisst, hätte ein grösseres Publikum verdient.
 
Der Redaktor von Swiss-Architects ist anwesend, weil er im Auftrag des energie-cluster.ch die Ereignisse an deren Anlässen in Worten festzuhalten versucht. Er kennt die «Szene» mittlerweile ein wenig und weiss, dass man an Veranstaltungen dieser Art meistens die usual suspects antrifft: Architekten, welche sich über ihre Kompetenz in Sachen nachhaltiges Bauen auf dem Markt positionieren (ihre Kolleginnen sind in diesem Fall so rar, das man es ohne schlechtes Gewissen beim Maskulinum belassen kann). Meistens bewegt sich der Diskurs auf der technischen und regulatorischen Schiene. Direkt lustvoll lässt dieses Publikum ein Regen von Bestimmungen, bauphysikalischen Werten, naturwissenschaftlichen und ökonomischen Rechenbeispielen über sich herabprasseln und diskutiert diese eingesammelten «Tropfen» in den grosszügig bemessenen Pausen auch angeregt.
 
Trotzdem ist die Irritation von Dr. Meier nachempfindbar. Der Kurs «Zukunftsgerechte Architektur» ist explizit darauf ausgelegt, der Gesamtheit der Architektinnen und Architekten die aktuellen Entwicklungen im Bereich energieeffizientes Bauen näherzubringen. Es handelt sich um alles andere als eine sektiererische Versammlung für Eingeschworene. Alle sind betroffen: Die Energiestrategie 2050 des Bundes setzt unter anderem darauf, dass sich Bauwerke künftig an der Erzeugung von Energie, vorab über Photovoltaik, beteiligen. Neue Vorschriften werden dafür sorgen, dass man für Projekte umfangreiche Haustechnik-Pakete schnüren werden muss. Eine Grundkompetenz ist notwendig, will man die Kontrolle über den Verlauf von Planung und Ausführung behalten. Der Kurs, der vom Bundesamt für Energie und mehreren Kantonen getragen wird, soll diese gewissermassen halboffiziell vermitteln. Ausgewiesene Fachleute aus Forschung, Lehre und der Praxis dozieren nicht nur, sie stehen in den Pausen und Fragerunden dem Publikum auch Red und Antwort. Man würde also denken, dass eine Teilnahme an diesen Kursen gut investierte Zeit wäre.

Vor fast hundert Jahren veröffentlichte Le Corbusier seine Essaysammlung «vers une architecture». Sie war unter anderem ein Hinweis darauf, dass die Architekturlehre von den Ingenieurwissenschaften abgehängt wird. Diese Situation könnte sich aktuell mit der Energieproduktion über Gebäude erneut präsentieren; ein beachtlicher Teil des Berufsstandes scheint sich dagegen zu sträuben, sich mit dem technischen Fortschritt auseinanderzusetzen. Dies ist auch deshalb bedenklich, weil viele Nachhaltigkeitskonzepte erst halb gebacken sind und es durchaus nötig wäre, sich auch ausserhalb von Verbänden kritisch einzubringen.

Präsentation des sanierten und aufgestockten Mehrfamilienhauses Hofwiesenstrasse/Rothstrasse in Zürich mit der stromproduzierenden aktiven Glasfassade. V.l.n.r: Architekt Karl Viridén, Systemtechniker Marco Specht und Fassadenbauer Ivan Thür erläuterten das Projekt. Haustechnikingenieur Adrian Tschui referierte über die Gebäudetechnik im Rahmen der neuen Standards. Alle stellten sich der Diskussion.

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