Wege des Willens des Volkes
Manuel Pestalozzi
3. de novembre 2015
Genau so wird Zürichs Hochschulquartier nie aussehen! Ausschnitt aus dem Film Masterplan Hochschulgebiet Zürich Zentrum des Amtes für Raumentwicklung des Kantons Zürich. Bild: www.are.zh.ch
Staatskundeunterricht für Bauinteressierte. Am 2. November fand im Kunsthaus Zürich eine öffentliche Informationsveranstaltung zum Hochschulgebiet Zürich Zentrum statt. Die Distanz zu vollendeten Tatsachen scheint sich zu verringern.
Ein kleines Mädchen aus Deutschland wird nie gehen können, die medizinische Diagnose tönt definitiv. Und doch kann es gehen! Mithilfe eines Roboters, an dem ein ETH-Spinoff mitarbeitete. Dieses Mädchen übt jetzt und gewöhnt sich an ihre maschinelle Hilfe – in Deutschland! Die Erzählstimme erhält einen warnenden Unterton. Das Publikum sollte an diesem Punkt beginnen, sich Sorgen zu machen, denn eigentlich wäre es wünschbar, das Mädchen müsste für dieses Training von Deutschland nach Zürich reisen, ins neu aufgebaute Universitätsspital in Bahnhofsnähe, einer Institution, die in der Spitzenmedizin mithalten will und in einem internationalen Wettbewerb steht. Wenn man Ränge verliert, sind das die ersten Schritte hinab ins Mittelmass, das Zürich nicht würdig ist.
Das Impulsreferat, in dem der geschilderte Kurzfilm vorgeführt wurde, repräsentierte den Grundtenor der Informationsveranstaltung. Schliesslich wollte diese die absolute Notwendigkeit des Masterplans Hochschulgebiet Zürich Zentrum bekräftigen: Nur mit einer sukzessiven Tabula rasa und einer anschliessenden, massiven «zeitgemässen» Verdichtung an diesem zentrumsnahen Standort wird es die Stadt schaffen, ihre Position in der Welt zu halten. Der Swiss-Architects.com-Redaktor hat Bedenken und diese bereits in einem Hintergrundartikel zu erläutern versucht.
Gegen Spezialistinnen und Spezialisten, die ihren Entscheid bereits getroffen haben, ist schwer anzukommen. Doch spitaltechnische Laien können es als staatsbürgerliche Pflicht betrachten, ihre ablehnende Meinung trotzdem zu äussern. Einige wenige erhielten an der Veranstaltung dazu die Gelegenheit, am Ende eines überlangen Informationsteils und einer Fragerunde der Projektverantwortlichen mit Medienfachfrau Esther Girsberger. Es waren hauptsächlich städtebauliche Bedenken, die sich aus dem Wohnsitz in den benachbarten Quartieren ergeben. Geäussert werden sie von Bürgerinnen und Bürgern, die das 60. Altersjahr schon überschritten haben. Jüngere Leute scheinen sich nicht gegen den Masterplan zu engagieren.
Der Kantonsrat des Kantons Zürich berät derzeit immer noch über die Änderungen im Richtplan. Werden diese gutgeheissen, ist der Weg für das Projekt frei. Aus der Veranstaltung ging es zwar nicht mit definitiver Klarheit hervor, doch man muss annehmen, dass die anschliessenden konkreten Projekte ohne Kreditvorlagen realisiert werden, über die man abstimmen könnte, und dass es auch keine Möglichkeit eines Referendums gibt. Es bleibt der Beschwerdeweg. Das Hochschulgebiet Zürich Zentrum ist nicht das Polizei- und Justizzentrum oder das Kongresshaus, bei denen Abstimmungstermine Debatten auslösten. Obwohl die Eingriffe mitten im Siedlungsgebiet weit tiefer und folgenreicher sind.
Das Top-Down-Projekt zeigt auf eine unangenehme Art die Limiten der demokratischen Gesellschaftsordnung auf. Eliten beanspruchen kraft ihrer Fachkompetenz die Deutungshoheit über die Zukunft des komplexen, hoch spezialisierten Spitalwesens, das sich im internationalen sportlichen Wettstreit weiterentwickeln soll. Diese Deutungshoheit umfasst anscheinend das Recht, grossen räumlichen Mehrbedarf einzufordern und dadurch über städtebauliche Belange zu bestimmen. Das Publikum wird vor den Folgen einer Behinderung dieser Pläne gewarnt, man verbreitet den Eindruck einer merkelschen Alternativlosigkeit. Den Einwohnerinnen und Einwohnern fällt die Rolle zu, die Pläne mit Krankenkassenprämien und Steuergeldern zu berappen. Swiss-Architects.com bleibt am Ball.
Ein abschliessendes Wort zur Bildlegende. Regierungsrat Markus Kägi, Vorsteher der Baudirektion des Kantons Zürich, war es ein Anliegen darauf hinzuweisen, dass das virtuelle Modell des Masterplans nicht das Erscheinungsbild des Endausbaus wiedergibt. Er setzt grosse Hoffnungen in die Architektinnen und Architekten, welche den dargestellten maximalen Raumbedarf etappiert in eine angenehme, ästhetisch hochstehende Form bringen.
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