Nun beginnt die Arbeit

Susanna Koeberle
2. de desembre 2016
Alejandro Aravena zum letzten Mal als «Frontman» in Venedig auf der Bühne. Bild: lafargeholcim-foundation.org

Mit dabei waren der Kurator der diesjährigen Biennale, Alejandro Aravena (zudem Mitglied des Vorstandes der LafargeHolcim Foundation for Sustainable Construction), Jonathan Ledgard, Initiator des Droneport Konzeptes und Direktor der Future Africa Initiative an der EPFL Lausanne, Milinda Pathiraja, Architekt aus Sri Lanka und Gewinner des Global LafargeHolcim Awards 2015, sowie Robert Mardini, Regionaldirektor Naher und Mittlerer Osten des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK). Moderiert wurde die Diskussionsrunde von Rolf Soiron, Präsident der LafargeHolcim Foundation for Sustainable Construction und ehemaliger Verwaltungsratspräsident von Holcim (er war massgeblich beteiligt an der Fusion der beiden Riesen Lafarge und Holcim) und Mitglied des IKRK. Soweit zu den Eckdaten und Verstrickungen zwischen Gästen und Gastgebern der besagten Veranstaltung. Das änderte nichts an der Brisanz des Themas, nämlich «sustainability vs. security», und an der Aktualität der bravourös geführten und moderierten Gesprächrunde, die sich löblicherweise nicht in formalem Blabla suhlte, sondern an ganz konkreten Fragen und Fakten orientierte.

Die vorgebrachten Inhalte zeigten, dass die diesjährige Biennale zwar in der allgemeinen Wahrnehmung von Architektur einiges in Gang gebracht und zurechtgerückt, die Arbeit an den massiven Problemen aber erst richtig begonnen hat. Die Zahlen, welche die Zuhörerinnen und -hörer (darunter viele junge Menschen) serviert bekamen, sind erschreckend. Bis zum Jahr 2030 werden auf der Erde fünf Milliarden Menschen leben, zwei davon in Armut – und: Die meisten werden in Städten wohnen. Kriege und Konfliktzonen werden voraussichtlich zunehmen, Probleme, die auf die Klimaveränderung zurückgehen auch (häufig besteht ein direkter Zusammenhang zwischen diesen Themen). Was hat das mit Architektur zu tun? Einiges, wie sich zeigte, und was auch das Motto der diesjährigen Ausgabe, «Reporting from the Front», deutlich machte. Die Fragen, die im Vorfeld der Diskussion formuliert und jeweils einem Teilnehmer zugeordnet worden waren, lauteten: Wie kann das Thema Sicherheit die Zukunft der Architektur beeinflussen (Aravena)? Was sind die Risiken und Herausforderungen bei der Verwendung von Kriegstechnologie (Dronen) in einem humanitären Kontext (Ledgard)? Wie kann militärisches Knowhow neu ausgerichtet werden und einen positiven Einfluss auf Nachhaltigkeit haben (Pathiraja)? Wie kann eine nachhaltige Zukunft für kriegsgeplagte Bevölkerungsgruppen gewährleistet werden (Mardini)? Zum Einstieg wurde darüber debattiert, inwiefern die beiden Begriffe «Security» und «Sustainability» überhaupt ein gegensätzliches Paar bilden. Robert Mardini, der im wahrsten Sinne des Wortes an der Front tätig ist, erläuterte, dass Flüchtlingscamps gerade wegen der mangelnden Sicherheit nicht nachhaltig sein können, etwa, wenn Frauen aus Angst vor einer Vergewaltigung beim Gang auf die Toilette in der Nacht Windeln tragen würden. Die beiden Termini sind also viel enger miteinander gekoppelt als vermutet, es geht in diesen Gebieten demnach genau darum, Sicherheit herzustellen, damit überhaupt an Nachhaltigkeit gedacht werden kann (und umgekehrt natürlich auch). Es wurde auch deutlich, dass auch das Nachdenken über und das Handeln in Nachkriegszenarien eminent wichtig ist. Rolf Soiron verstand es, das Gespräch immer wieder auch auf Architektur zu lenken.

Viele junge Menschen waren im Publikum. Bild: lafargeholcim-foundation.org

Hier brillierte vor allem Alejandro Aravena als charismatischer «Frontmann». Er machte klar, dass wir zuerst gute Städte brauchen, damit diese entwickelt (auch im Sinne einer Veränderung zu mehr Nachhaltigkeit) werden können. Und dass es dabei nicht primär um das Erstellen von Bauten gehe – Architekten aufgepasst –, vielmehr um den Raum zwischen diesen. Das ideale Verhältnis dafür sei 1:1! Ganz nebenbei: Das müsste man auch den Immobilienheinis hierzulande beibringen, wo keine Not herrscht. Der Architekt müsse also weniger zum Designer von schönen Häusern, sondern zum Koordinator werden, der Prozesse initiiert und die Leute zur Partizipation animiert. Nicht im Sinne eines Kollektivs, wie das heute zum Modebegriff geworden ist, sondern indem man Menschen als Teil der Lösung und nicht als Teil des Problems betrachtet. Gerade in Gebieten, in denen Politik nichts ausrichten kann, beziehungsweise nur Katastrophen produziert, gehe es als Architekt darum, Verantwortung zu übernehmen und ausserhalb der gewohnten Parameter zu operieren, stellte auch Pathiraja fest, der über die desolate Situation in Sri Lanka sprach, wo der Krieg zwar seit 2009 vorbei ist, aber die Nachwehen noch stark spürbar sind. Und, und, und. Selten wurde einem in so kurzer Zeit so viel Not bewusst, aber auch Hoffnung gemacht, dass es durchaus Lösungen gibt. 

Das Video der Diskussion ist auch online zu sehen.
 

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