Lernen in der Kirche

Manuel Pestalozzi
18. d’abril 2023
Das Kirchenschiff wird mit einer rückbaubaren, isolierten Holzkonstruktion in ein Erd- und ein Obergeschoss unterteilt. Unter dem Deckengewölbe entsteht ein vielfältig nutzbarer Raum, der jedoch nicht beheizt ist. (Visualisierung: © Nightnurse Images)

In den letzten Dekaden wurden in Mittel- und Westeuropa bereits zahlreiche nur noch sporadisch oder gar nicht mehr genutzte Kirchen umgestaltet. Manche wurden zu Bibliotheken oder stehen der Bevölkerung als Veranstaltungsräume zur Verfügung, andere wurden zu Restaurants wie die Kapelle eines Militärspitals in Antwerpen oder zu Geschäften wie die Kirche an der Dominicanerkerkstraat 1 in Maastricht. Auch das Gotteshaus im Zürcher Quartier Wipkingen, das im Jahr 1909 nach den Plänen von Jacques Kehrer erbaut wurde, wird schon länger nicht mehr für kirchliche Zwecke genutzt. Seither suchen die reformierte Kirchengemeinde und die Stadt Zürich nach einer neuen Nutzung für das neugotische Gebäude, das mit seiner schönen Umgebungsgestaltung sowohl im Inventar der Denkmalpflege als auch in jenem der Gartendenkmalpflege verzeichnet ist.

Während das Gotteshaus obsolet geworden ist, wächst gleichzeitig der Platzbedarf der nahen Schule Waidhalde kontinuierlich. Aktuelle Prognosen legen nahe, dass bis ins Schuljahr 2031/32 Raum für sechs bis acht zusätzliche Primar- und Sekundarklassen geschaffen werden muss. Die Stadt hat sogar schon die Sakristei und das einstige Pfarrhaus angemietet, um neue Räume für den Unterricht hinzuzugewinnen. Schliesslich wurde entschieden, die Kirche der Schule zuzuschlagen und dort einen Mehrzwecksaal, eine Bibliothek sowie Verpflegungs- und Betreuungsräume einzurichten.

Die reformierte Kirchgemeinde der Limmatstadt begrüsst gesellschaftlich derart wertvolle Umnutzungen «ausrangierter» Kirchen. Seit 2019 führt sie mit der Stadt einen regen Dialog über entsprechende Projekt. Die Umgestaltung der Kirche Wipkingen soll zu einem Pionierprojekt werden, das für beide Seiten einen Gewinn darstellt.

Im neu geschaffenen Erdgeschoss werden sich dereinst ein Mehrzweckraum, eine Bibliothek sowie Verpflegungs- und Betreuungsräume befinden. (Visualisierung: © Nightnurse Images AG)
«Der Umgang mit dem Bestand ist gegenwärtig eine der Top-Herausforderungen beim Bauen. Mit dem vorliegenden Projekt zeigen wir auf, wie attraktiv eine Umnutzung des Bestehenden sein kann.»

André Odermatt, Vorsteher des Hochbaudepartements der Stadt Zürich

Für die Umgestaltung wurde ein Konzeptwettbewerb im selektiven Verfahren ausgeschrieben. Ausschlaggebende Bewertungskriterien waren dabei nicht nur die intelligente und effiziente Nutzung der zur Verfügung stehenden Flächen, sondern auch der Erhalt der architektonischen Wirkung des Kirchenraumes und eine angemessene Belichtung. Aus denkmalpflegerischen Gründen kamen nur reversible Massnahmen infrage. 

Durchsetzen konnte sich das Basler Büro Vécsey Schmidt Architekt*innen im Team mit der Anderegg Partner AG. Ihr Vorschlag sieht vor, das heute offene Erdgeschoss mit einer isolierten Decke zu überspannt. So können ein Mehrzweckraum, eine Bibliothek sowie Verpflegungs- und Betreuungsräume ebenerdig untergebracht werden. Im neu geschaffenen Obergeschoss wird ein ungeheizter und vielfältig nutzbarer Raum unter dem historischen Deckengewölbe der Kirche entstehen. 

Die Bauarbeiten sollen im Jahr 2025 beginnen. Im Schuljahr 2026/27 könnten die neuen Räumlichkeiten dann erstmals genutzt werden. Die Kosten für die Baumassnahmen werden aktuell auf 7,5 Millionen Franken geschätzt. Die jährlichen Mietkosten für die Kirche und die Aussenräume sollen sich auf 180'000 Franken belaufen.

«Wir haben aus der Not eine Tugend gemacht und nutzen kreative Lösungen, um den anhaltend hohen Schulraumbedarf zu decken.»

Filippo Leutenegger, Vorsteher des Schul- und Sportdepartements der Stadt Zürich

Visualisierung: © Raumgleiter

Die Stadt Zürich teilte im Zuge der Bekanntgabe des Wettbewerbsresultats auch mit, dass geplant sei, zukünftig weitere kirchliche Liegenschaften für andere Nutzungen zu öffnen. So wird im Sommer aus dem Kirchgemeindehaus Sihlfeld ein Kindergarten. Ausserdem ist eine städtische Nutzung auch für die Kirche Suteracher in Planung. 

Die weltliche Nutzung von Sakralbauten hat in der Stadt Zürich eine lange Tradition. So zog man in den gotischen Chor der Predigerkirche nach der Reformation und der Schliessung des zugehörigen Dominikanerklosters Zwischenböden ein. Danach dienten die Räumlichkeiten zunächst als Kornschütte, später als Lager und schliesslich als Bibliothek und Archiv. Heute sind sie Teil der benachbarten Zentralbibliothek. 

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