Für Friedrich Achleitner war er ein Moralist, der meist recht hat. Am 10. Januar ist Friedrich Kurrent verstorben

Ulf Meyer, Manuel Pestalozzi
19. de gener 2022
Friedrich Kurrent referiert im Rahmen der Schau «Wege der Moderne. Josef Hoffmann, Adolf Loos und die Folgen» von Matthias Boeckl und Christian Witt-Dörring über Adolf Loos und Josef Hoffmann. (Screenshot von YouTube: Elias Baumgarten)
«Ich bin nicht nur Kurrent, sondern auch mein eigener Konkurrent. So wurde ich zu dem, als den ich mich sehe: ein verhinderter Architekt. Verhindert? Von wem? Von mir selbst. Denn: Viel ist es nicht, was ich (bisher) bauen konnte. Nur einige Häuser, Kirchen und dergleichen.»

Friedrich Kurrent

 

Die moderne Architektur nach Österreich zu bringen und den (sturen) Modernismus zu überwinden – das klingt nach einer Herkulesaufgabe, für die ein Menschenleben zu kurz ist. Doch Hermann Czech attestierte Friedrich Kurrent zu dessen 90. Geburtstag genau diese kolossale Leistung. Welch ein Lob! 

Kurrent ist am 10. Januar dieses Jahres verstorben. Der 1931 in Hintersee im Salzburger Land geborene Architekt hatte an der Akademie der bildenden Künste in Wien bei Clemens Holzmeister (1886–1983) Architektur studiert, der auch berühmte österreichische Architekten wie Gustav Peichl (1928–2019) und Hans Hollein (1934–2014) zu seinen Schülern zählte. Zu Beginn der 1950er-Jahre gründete er mit Johannes Spalt, Wilhelm Holzbauer und Otto Leitner die arbeitsgruppe 4. Ziel des Quartetts war die Neuausrichtung der Architektur in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Gruppe verband Wertschätzung für die baugeschichtliche Vergangenheit mit konstruktiv-technischen Pionierleistungen. Die ersten gemeinsamen Werke wie die Pfarrkirche Zum Kostbaren Blut in Salzburg (1956), die Pfarrkirche Steyr mit ihren markanten X-förmigen Aussteifungen und das Kolleg St. Josef in Salzburg-Aigen (1964) gaben Zeugnis von ihrer neuen Haltung. Das Erstlingswerk, die besagte Pfarrkirche in Salzburg, wurde in einen landwirtschaftlichen Bau eingefügt. Die Aufgeschlossenheit der Kongregation für die Arbeit der jungen Architekten ermöglichte dabei eine der ersten Kirchen der Moderne in Österreich. Kurrents Neubau integriert die schlanken Granitsäulen des alten Gutshofs als Sitzbankbereich in die Kirche. Der hohe Raum mit Satteldach dahinter wird als Altarraum genutzt, die Dachfläche verglaste man. Der Altarraum erhält seine kraftvolle Wirkung durch sein Volumen und die besondere Lichtsituation. Dank der Dachverglasung können die Gläubigen in den Glockenstuhl sehen.

 

Vorkämpfer für die Baukultur

Doch Kurrent war nicht nur ein hervorragender Architekt für Sakralbauten, sondern auch ein Förderer der Baukultur. Er war 1965 eines der Gründungsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Architektur, organisierte Ausstellungen über Kirchen-, Schul- und Theaterbau und galt als begnadeter Zeichner. Auch als Autor und Kritiker war er bekannt und geschätzt. Er kämpfte für den Erhalt alter Bausubstanz, Jahrzehnte bevor dies populär wurde. Zum Beispiel setzte er sich für den Erhalt der Bank in der Mariahilfer Strasse in Wien von Adolf Loos ein und kämpfte für den Pavillon am Karlsplatz von Otto Wagner, das Semperdepot, das Wittgenstein-Haus und ein Biedermeier-Haus am Spittelberg. Im Streit um die Neubauten in Wien Mitte und am Heumarkt positionierte er sich als Hochhausgegner. Überdies warb er immer wieder für den Ausbau des Wettbewerbswesens in Österreich. 

 

Einflussreicher Lehrer in Bayern

Kurrents enormes Talent und sein grosses Engagement blieben auch dem Ausland nicht verborgen und fanden auch ausserhalb Österreichs Beachtung und Anerkennung – besonders im benachbarten Bayern. Die TU München holte ihn 1973 als Professor in den Freistaat, um Johannes Ludwig nachzufolgen. In den 1980er-Jahren wurde er sogar Dekan der Architekturfakultät. Ab 1987 war er Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Bis in die 1990er-Jahre hinein unterrichtete Kurrent in München. Er prägte Generationen von Studierenden wesentlich und hatte zweifelsohne grossen Einfluss auf die Entwicklung der Architektur in Bayern und ganz Deutschland.

Neben den bekannten Kirchen zählen zu seinen Bauten auch die Erweiterung der Zentralsparkasse Floridsdorf in Wien (heute Bank Austria), das Wohnhaus Nobilegasse in Wien, der Umbau des Kinos Liliom im bayerischen Augsburg und ein Wohnturm in Krems an der Donau. Aber zwei seiner Werke stechen ganz besonders heraus: Die Umgestaltung des Alten Allgemeinen Krankenhauses zum Hochschulcampus in Wien und die Ausstellungshalle in Sommerein, die er für seine Frau, die Bildhauerin Maria Biljan-Bilger (1912–1997), entwarf. Die Halle in Form eines unregelmässigen Trapezes hat ein elegant geschwungenes Dach, das begehbar ist. Die Geländeoberfläche wurde im Gebäudeinneren nicht ausgeglichen und ist spürbar. 

Der international bekannte österreichische Architekturkritiker Friedrich Achleitner (1930–2019) hat Kurrent als «Moralisten der unbestechlichen, aber auch anstrengenden und unbequemen Art» bezeichnet, «dem man nicht leicht verzeihen kann, dass er meist recht hat». Österreich und der ganze deutsche Sprachraum verlieren mit Friedrich Kurrent eine wichtige Persönlichkeit, einen hervorragenden Architekten, Lehrer, Autor und Kurator, einen wichtigen Aktivisten und einen geschätzten Menschen. 2017 erhielt er für seine Verdienste das Grosse Ehrenzeichen seines Heimatlandes. Sein Tod gibt nicht nur Anlass zu Trauer, sondern auch zu Dankbarkeit. 

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