Der Boden als Gemeingut: Eine Utopie?

Susanna Koeberle
8. d’abril 2020
Blick in die Freilandstadt, 2019 (Illustration © Florian Hertweck / Dragos Ghioca)

Immobilienspekulation, Gentrifizierung, soziales Gefälle zwischen Zentrum und Peripherie – all diese Phänomene sind weltweit zu beobachten und hängen mit einem Thema zusammen: mit der Bodenfrage. Wie Gesellschaft und Politik mit dieser umgehen, ist sozial wie ökonomisch, aber in erster Linie für den einzelnen Menschen von Bedeutung. Mit einer Publikation zu diesem komplexen Thema macht Florian Hertweck von der Universität Luxemburg auf die vielschichtigen Problematiken und historischen Implikation der Bodenfrage aufmerksam. Der Herausgeber geht in seinen einleitenden Bemerkungen von der Beobachtung aus, dass das Handeln mit Grund und Boden als beliebiger Ware in den meisten westlichen Demokratien ein Naturgesetz zu sein scheint. Er stützt seine These auf die historische Entwicklung dieser Problematik und zeigt auch, wie philosophisches Gedankengut das Verständnis der Bodenfrage massgeblich beeinflusst hat. Von Jean-Jacques Rousseaus Bemerkung, dass «die Früchte der Erde allen gehören, die Erde jedoch keinem» scheinen wir heute jedenfalls weit entfernt zu sein. Bei der Behandlung dieser Materie muss man allerdings aufpassen, nicht in die Ideologiefalle zu treten. Es gilt, ein gesundes Mass zwischen Sozialisierung und Privatisierung zu finden. 

Die Granby Four Streets in Liverpool, 2019 (Foto © Assemble, London)

Deswegen erscheint es Hertweck wichtig, die Frage, wie unter demokratischen Verhältnissen Grund und Boden als Gemeingut behandelt werden kann, verstärkt auch in den Architekturdiskurs einfliessen zu lassen. Er diagnostiziert diesbezüglich eine Wissenslücke und eine mangelnde politische Positionierung. Das Buch möchte diesem Missstand entgegenwirken. Verschiedene Autor*innen beleuchten spannende Aspekte dieses hochkomplexen Gegenstandes, darunter auch mehrere Lösungsversuche, die in unterschiedlichen geographischen und politischen Kontexten unternommen wurden. Sie erinnern uns daran, dass das Thema nicht neu ist. Das Buch versteht sich als «Debattenbeitrag, aus dem heraus viele Positionen und Handlungsmöglichkeiten entwickelt werden können», so Hertweck in seiner Einleitung. Diese Fragen zu erörtern, erscheint in der aktuellen Situation wichtiger denn je. Denn wenn die Pandemie überwunden sein wird – und das dürfte noch etwas dauern –, werden die Antworten auf solche Fragen entscheidend sein, um die sozialen Ungerechtigkeiten unseres Systems nicht noch mehr zu verschärfen. Auch Architekt*innen dürfen da nicht wegschauen.

«The Pinnacle@Duxton» – Wohnungsbau der nächsten Generation mit Sky-Gardens, 2009 (Foto © Stefan Rettich)
Architektur auf gemeinsamem Boden. Positionen und Modelle zur Bodenfrage

Architektur auf gemeinsamem Boden. Positionen und Modelle zur Bodenfrage
Florian Hertweck

140 × 200 Millimeter
400 Pàgines
65 Illustrations
Paperback
ISBN 9783037786024
Lars Müller Publishers
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