Dynamisch linear
Cyrill Schmidiger
24. d’octubre 2019
Foto: Simon Menges
Unmittelbar neben dem Bahnhof von Lausanne setzt das neue Musée Cantonal des Beaux-Arts (MCBA) einen markanten Akzent. Ist der minimalistisch anmutende Bau von Barozzi Veiga von aussen betrachtet eine urbane Bereicherung, so bietet er auch im Innern spannungsvolle Momente. Einfachheit und Reduktion dominieren. Doch gerade dadurch mutet die Architektur dort manchmal zu steril an.
Mit der «Plateforme 10» entsteht in Lausanne ein ambitioniertes Kulturforum. Drei Institutionen konzentrieren sich dort ab 2021 in neuen Gebäuden: Neben dem MCBA, das am 5. Oktober 2019 offiziell eröffnet wurde, werden das Musée de l’Elysée und das Musée de design et d’arts appliqués contemporains (mudac) gemeinsam einen vom portugiesischen Büro Aires Mateus entworfenen Kubus beziehen. Dessen schnittige Architektur, so versprechen es die Renderings, wird mit fast schon expressiven Cuts das monolithische MCBA-Volumen kontrastieren. Gleichzeitig sollen die benachbarten Bahnarkaden den urbanen Platz durch Cafés, Restaurants und Shops beleben. Sie definieren zusammen mit den beiden kulturellen Einrichtungen ein öffentliches Areal, das zuvor industriell besetzt war. Doch von vorne:
Die Idee eines Neubaus für das MCBA ist alt. Erste Umzugsabsichten formulierte das Kunstmuseum schon 1994. Damals im 1906 fertiggestellten Palais de Rumine im historischen Stadtzentrum einquartiert, stiess es mit seiner Sammlung an räumliche Limiten. Die Suche nach einem geeigneten Standort war allerdings nicht einfach: 2008 scheiterte der Plan, am Ufer des Genfersees zu bauen – als Konsequenz sollte das MCBA gar ausserhalb von Lausanne realisiert werden. Die SBB liessen sich aber auf einen Landtausch ein und gaben ihre Parzelle beim Bahnhof gegen eine im Westen der Stadt. Danach einigte sich auch die Politik rasch: 2010 wurde ein Wettbewerb mit internationaler Jury organisiert, 2011 setzten sich Barozzi Veiga aus Barcelona gegen 17 andere Teams durch. Einsprachen von Anwohner*innen verzögerten den Prozess noch einmal, bevor dann 2016 endlich gebaut wurde.
Foto: Simon Menges
Entlang den GleisenDas im Osten an den Hauptbahnhof angrenzende Museum offenbart die Geschichte seines Ortes mehrfach. Neben einer alten Drehscheibe (und davon inspirierten Sitzrondellen) sind immer noch einige Schienen des ehemaligen, 1911 entstandenen Depots vorhanden. Sie kanalisieren nun das Regenwasser und leiten es zu den Grünflächen weiter. Ebenso erinnert vor dem Gebäude ein Kunstwerk an die industrielle Vergangenheit: Das von Xavier Veilhan und Olivier Mosset geschaffene Objekt namens «Crocodile» zeichnet mit abstrahierten Formen eine Lokomotive nach. Sie ist – analog zum Kunstmuseum – parallel zu den Gleisen gesetzt. Barozzi Veiga, die auch den Masterplan zur Neugestaltung des früheren SBB-Depots erarbeitet haben, gruppierten das MCBA und den Bau von Aires Mateus quasi peripher. Daraus resultiert ein imposanter, nahezu dreieckiger Platz mit dezidiert urbanem Charakter. Gegen Norden von Arkaden am Hang begrenzt, ist er dennoch offen: Anders als zuvor verbinden Lift und Treppe die verschiedenen Niveaus der Terrains. Das ist interessant, weil der Lausanner Bahnhof bis 2026 nach einem Entwurf des Pariser Büros TVK umstrukturiert und auch ausgebaut wird. Rund 200'000 Personen sollen ihn danach täglich frequentieren.
Foto: Simon Menges
Narrative DimensionenDie Spuren des einstigen Eisenbahndepots sind auch an der Architektur sichtbar. So bildet an der östlichen Frontseite, die als gigantische Scheibe in Erscheinung tritt, eine Linie aus Metall den Umriss der SBB-Halle nach. Eine Reminiszenz an die alte Form – und das ganz konkret – ist auch der symmetrische Annex mit seinem Bogenfenster an der Südfassade. Er ist ein Relikt des abgerissenen Baus und bricht das hermetische Volumen auf. Transparenter gibt sich das neue Kunstmuseum nach Norden: Lamellen strukturieren dort die Fassade und ein vorspringender Betonrahmen definiert den Eingang. Der 145 Meter lange, 22 Meter hohe und 21 Meter tiefe Riegel mutet hier nicht so massiv an wie auf der Gegenseite – hinter dem Raster der repetitiv angeordneten Vertikalen liegen einerseits Fenster mit unterschiedlichen Formaten, anderseits springt eine hohe Glasebene hervor und sorgt für mehr Plastizität. Materiell dominiert gräulicher Backstein mit einem Beigestich, der indirekt auf das industrielle Erbe verweist. Seine grobkörnige Textur korrespondiert dabei mit dem weissen Mörtel, der den händischen Anstrich durch ein unregelmässiges Fugenbild spielerisch offenbart. Einzelne senkrechte Linien sind im Mauerwerk sogar ausgelassen. Der Sockel des MCBA und mehrere Rahmenprofile – gerade sie setzen reizvolle Akzente am rhythmisierten Klinkerbau – bestehen aus hellem Sichtbeton. Doch für manche, so berichtete Schweizer Radio Fernsehen SRF, ist das Museum einfach ein kantiger Klotz, dessen markante Figur einer Schuhschachtel gleichen soll. Der Direktor Bernard Fibicher spricht da lieber von einem Heizkörper, der ein erfrischendes Signal in die (inter)nationale Kulturlandschaft aussende. Eine passendere Assoziation – und vor allem auch fair: Der parallel zu den Gleisen positionierte Trakt muss gegen den lauten Zugverkehr abschirmen und im Innern optimale Lichtverhältnisse bieten. Dennoch gelang es den Architekten, dass er zum neu geschaffenen Platz mit offenen Gesten kommuniziert.
Foto: Simon Menges
Klare Konzeption mit stringentem RaumprogrammErschlossen wird das MCBA durch eine imposante Eingangshalle, deren Treppe zum grossen Südfenster des ehemaligen SBB-Depots hin orientiert ist. Hier bildete das spanisch-italienische Team um Fabrizio Barozzi und Alberto Veiga den Rundbogen der alten Lokremise nach. Das Foyer fasziniert insbesondere durch seine schiere Dimension, aber auch durch eine nahezu sakrale Anmutung. Dass Museen zeitgenössische Kathedralen darstellen, ist in diesem Zusammenhang keine Plattitüde. Einerseits ist es die helle Materialisierung, die eine entsprechende Atmosphäre evoziert: Der Terrazzo und die Wand sind in verschiedenen Grau-Weiss-Tönen gehalten, die beidseitig der Stufen montierten Handläufe schimmern silbern. Anderseits erinnert die Raumproportion an eine simple Kirche, etwa an eine einschiffige Saalkirche mit Apsis. Es passt ins Bild, dass das einstige Hallenportal nun als eine Art Spolie fortexistiert. Im Parterre befinden sich mit Café, Museumsshop und Auditorien auch öffentliche Nutzungen. Die Ausstellungsflächen – rund 3'220 Quadratmeter, was einer Verdreifachung gegenüber dem alten Standort im Palais de Rumine entspricht – liegen primär über dem Eingangsbereich, seitlich in den beiden zweigeschossigen Flügeln. Sie sind durch das Foyer und durch weitere Treppen flexibel erschliessbar. Ein Highlight ist der doppelstufig konzipierte Aufgang im Westteil, der neben einer normalen Stiege auch mehrere Sitzreihen mit Blick auf den Museumsplatz bietet. Gegen Süden rahmt eine Fensterfront das Panorama mit Stadt, See und Berge. In der obersten Etage erstrahlen die Exponate teils in reguliertem Tageslicht, das durch das Sheddach strömt. Die meisten Räume werden aber mit Kunstlicht beleuchtet. Dabei orientiert sich das Lichtband formal an der Decke und einzelne Lampen erlauben einen spezifischen Fokus auf die Ausstellungsstücke.
Foto: Simon Menges
Foto: Simon Menges
Nonchalant und cool, doch manchmal auch schroffDas MCBA ist monumental und schlicht zugleich. Hohe, mit Maserungen gezeichnete Holztüren leiten zu den Ausstellungssälen über. Sie setzen einen dunkelbraunen Kontrast zu den hellen Korridoren, aber auch zur Atmosphäre in den Museumsräumen: Bis auf das Parkett dominiert dort Weiss – ganz in der Tradition des White Cube. Allerdings soll es ab Frühling 2020 im ersten Obergeschoss bunt werden: Die Sammlung zur Kunst des 18. bis Anfang des 20. Jahrhunderts wird dann an farbig gestrichenen Wänden präsentiert. Das ist auch gut so, denn trotz einladender Gesten im Foyer mutet das Innere oftmals über Gebühr bescheiden an und die Architektur erscheint reserviert. In diesen dezenten Räumen reduziert sich das museale Erlebnis primär auf die Exponate. So sind die Partien zwischen den verschiedenen Ausstellungsflächen kaum artikuliert, nur ein abstrahiertes Wandprofil betont den Saalübergang. Die Architektur muss sich aber nicht in dieser minimalistischen Manier vor der Kunst und dem kuratorischen Programm verneigen. Schon gar nicht im Foyer: Die Handläufe sind unvermittelt an der Wand montiert, abrupt, ja nahezu grob – ein Moment, der im ansonsten souverän gestalteten Eingangsbereich irritiert. Das ist schade, sollte doch das MCBA im Innern weder derart an die industrielle Vergangenheit erinnern noch eine Fabrikatmosphäre evozieren. Ein Museum ist vielmehr ein Ort der Bildung. Manchmal wäre eine nuanciertere architektonische Sprache durchaus angebracht gewesen – auch im Café, wo ebenfalls Farbe fehlt und vor allem viel Leere herrscht.
Dennoch: Das 84 Millionen Franken teure MCBA von Barozzi und Veiga ist ein gelungenes Projekt, gerade auch städtebaulich. Einerseits ist sein Volumen schlanker als das des ehemaligen SBB-Depots, anderseits erschliesst das neu geschaffene Areal Bereiche, die zuvor isoliert oder voneinander getrennt waren. Der von architektonisch charaktervollen Bauten und einem alten Arkadengang eingefasste Platz kann zu einem Hotspot werden – sei es durch das breite kulturelle und kulinarische Angebot, sei es durch den bahnhofsnahen Standort. Neben diesen urbanen Qualitäten setzt die Fassade des Kunstmuseums intelligente Akzente, die die vermeintliche Monotonie immer wieder konterkarieren. Und besonders wichtig: Endlich hat die kantonale Institution mehr Ausstellungsfläche. Da auch die Fondation Toms Pauli (eine Stiftung mit einem bedeutenden Ensemble von europäischen Tapisserien, Stickereien und Textilen) und die Fondation Félix Vallotton in den monumentalen Komplex ziehen, lassen sich dort vielleicht sogar fachinterne Synergien nutzen. Sicherlich aber wird die «Plateforme 10» bei der Zugstation mit neun Perrons eine lebendige und dynamische Drehscheibe sein.