Denkmalpflegen unter Beschuss
Inge Beckel
30. d’abril 2015
Altstädte (im Bild Aarau) abreissen können? Wenn Unterschutzstellungen nur mit dem Einverständnis der Besitzer möglich wären, könnte dies geschehen. Bild: © Schweiz Tourismus
Denkmalpflegen stehen unter Druck. Denn es wird gebaut. Und investiert. Und nochmals gebaut. Gleichzeitig ist der Boden und damit das Bauland begrenzt. Verdichten also ist angesagt. Und dabei gilt primär, Bestehendes zu erneuern oder gar zu ersetzen.
Beim Verdichten steht manch ein geschütztes Haus im Weg. Das kann bedeuten, dass die nach Baugesetz theoretisch mögliche maximale Ausnützung nicht erreicht werden kann. Oder man könnte es aus anderer Perspektive auch so sehen: Ein geschütztes Haus stellt eine besondere Herausforderung dar, indem man die Substanz in der einen oder anderen Form ins Projekt integrieren muss. Dies kann zu zusätzlichem Planungsaufwand und damit zu Mehrkosten führen – zumindest kurzfristig betrachtet.
Oft unbeliebt
Das führt zu Phänomenen, wie wir sie derzeit mancherorts beobachten können. Denn aus Sicht eines Investors sind, wie gesehen, geschützte Objekte tendenziell eher unbeliebt. Zumindest, was das rein Geschäftliche betrifft. Also gilt es, ganz pragmatisch und wiederum aus Investoren-Perspektive betrachtet, den Einfluss der praktizierenden Denkmalpflegen zu schmälern. Und wie macht man dies am besten? Indem man ihnen Mittel wegnimmt. Also ihre Budgets kürzt. Oder aber versucht, ihre gesetzliche Legitimation zu schwächen.
Budgetkürzungen geschehen vielerorts – schon seit Jahren. Anfänglich schmerzen derlei Eingriffe in der Regel noch nicht so stark. Schliesslich finden sich, nach einer Periode von satten Jahren mit reichlich finanziellen Mitteln, stets Sparpotenziale, die möglicherweise sogar ihr Gutes haben. Doch irgendwann geht es an die Substanz. Im Kanton Zug ist dieser Moment erreicht. Für das laufende Jahe muss das Amt für Denkmalpflege und Archäologie eine Budgetkürzung (nicht die erste!) von nunmehr 15 Prozent hinnehmen.
Das ist die eine Möglichkeit, den Wirkungskreis der Denkmalpflege und damit ihren Einfluss zu schmälern. Die andere Möglichkeit ist, ihren gesetztlichen Status anzugreifen. Anders ausgedrückt: die Denkmalpflege möglichst abschaffen. So verlangen zwei Motionen, eingereicht von drei Zuger Kantonsräten – die sich aus CVP, FDP und SVP rekrutieren –, dass ein Haus nur mit der Zustimmung des Eigentümers unter Schutz gestellt werden darf. Was faktisch der Abschaffung des Denkmalschutzes entspricht.
Erinnerungsorte
Nun ist die Bestimmung der Schutzwürdigkeit eines Hauses keine so genannt exakte Wissenschaft. Man kann Schutzwürdigkeit nicht messen. Nicht in Zahlen ausdrücken. Dazu braucht es Worte, Umschreibungen, Einschätzungen. Natürlich gibt es wissenschaftlich anerkannte und international geltende Kriterien, die einer Abklärung stets zugrunde liegen. Doch ein Rest-Interpretationsspielraum bleibt, so könnte man sagen. Denn es geht um Qualitäten, nicht um Quantitäten.
Diese qualitativen Werte, die einem geschützten Bauobjekt zugrunde liegen, sind meist künstlerischer, sehr oft aber auch sozialer Natur. Also: Ein Haus ist dann schutzwürdig, wenn es eine hohe künstlerische Arbeit ist. Es kann aber auch unter Schutz gestellt werden, weil es in der Geschichte einer Stadt beispielsweise der Ort eines wichtigen Ereignisses war, ein Erinnerungsort. Oft werden Bauten geschützt, weil sie sowohl baukünstlerisch hervorragend als auch sozialhistorisch wichtig sind.
Der Erinnerungsort kann ein gesellschaftlicher sein. Auf einem Platz etwa wurde die Republik ausgerufen. Oder es fanden dort wochenlange und zu wichtigen gesellschaftlichen Veränderungen führende Demonstrationen statt. Es gibt aber auch persönliche Erinnerungsorte. Beim Gang an einem bestimmten Haus vorbei ist man beispielsweise an die Klavierlehrerin erinnert. Oder vielleicht gar an den ersten Kuss auf einer Bank im Park. Oder an das Haus der Freundin auf dem Weg zur Schule.
Gegen Gedächtnislücken
Gemäss einer Studie des Bundesamts für Statistik würden die Anliegen der Denkmalpflege nun aber – insgesamt betrachtet – einem breiten Bedürfnis der Schweizer Bevölkerung entsprechen, sagt Meinrad Huser, Präsident des Zuger Heimatschutzes.1 Gleichzeitig sind gerade unsere Altstädte bei Touristen beliebt, und darum bei Touristikern und dortigen Gastgeberinnen. Es sind folglich vor allem politische oder letztlich wirtschaftliche Interessen, die jenen der Denkmalpflege gegenüber stehen (können).
Konkret ausgedrückt: Es stehen sich individuelle wirtschaftliche Anliegen – nach maximaler Ausnützung und damit maximalem Gewinn – und gesellschaftliche – nach einer kollektiven Geschichte oder persönlichen Erinnerungen – gegenüber. Indem Baudenkmäler physische, damit greifbare Zeugen unserer Vergangenheit sind, geht es letztlich auch um Werte wie Heimat und Identität. Um Erinnerungsorte eben. «Um ein Gefühl der eigenen Identität», wie Huser sich gegenüber zentral+ ausdrückt.
Derzeit läuft in Schweizer Kinos der Film Still Alice. Er handelt von einer Frau, der frühe Demenz diagnostiziert wird. Im Verlauf dieser Krankheit fehlen der Frau, ganz konkret, zunehmend Stücke aus ihrer Vergangenheit. Aus ihrer Identität bröckeln nach und nach Teile heraus. Es fehlt ihr zunehmend an Orientierung, da sozusagen der Boden oder das persönliche Fundament, das die Erfahrungen der Lebensjahre bilden, an Festigkeit und folglich Verlässlichkeit verliert.
Ein sorgsamer Umgang mit unserer gebauten Vergangenheit kann, so gesehen, auch als eine Art von kollektiver Vorsorge interpretiert werden: als Teil der Gesundheit – und gegen (zu grosse) Gedächtnislücken. Oder man könnte einfach sagen: Beim Denkmalschutz geht es (auch) um Wohlbefinden!
Blick auf die Zuger Altstadt mit Zytturm. Bild: © Schweiz Tourismus
Anmerkung
1«Wir sind dabei, die Erinnerung abzuschaffen», in: zentral+ vom 10. April 2015 (zum ausführlichen Beitrag gehts hier)
Zum Thema siehe u.a. auch
– «Freiwillig würde nichts unter Schutz gestellt», in: zentral+ vom 22. April 2015 ( hier)
– Müssten Hochhäuser abgerissen werden?, in: zentral+ vom 16. April 2015 (hier)
– «Ich habe gehört, dass Leute geweint haben», in: zentral+ vom 9. April 2015 (hier)