Zum Tod von Edward Schwarz

Andreas Ruby
24. d’agost 2022
Edward Schwarz verstarb am 3. August dieses Jahres überraschend im Alter von nur 62 Jahren. (Foto © Holcim Foundation for Sustainable Construction)

Nachrufe werden für gewöhnlich über besonders namhafte Personen des öffentlichen Lebens geschrieben. Swiss-Architects veröffentlichte zuletzt Nachrufe auf Luigi Snozzi, Aurelio Galfetti, Martin Steinmann und Silvia Gmür, allesamt prominente Protagonisten der Schweizer modernen Architektur. Edward Schwarz, der am 3. August 2022 völlig unerwartet und mit nur 62 Jahren viel zu früh verstarb, war weder Architekt noch prominent und hat genau mit dieser persönlichen Konstitution Unglaubliches geleistet für die Architektur in der Schweiz und weltweit.

Gut zwanzig Jahre lang lenkte Edward Schwarz die Geschicke der Holcim Foundation for Sustainable Construction als ihr General Manager. Die Stiftung wurde 2003 gegründet, lange bevor der Begriff der Nachhaltigkeit zum unvermeidlichen Bestandteil des professionellen Vokabulars im Bauen wurde. Auslöser zur Gründung war ein Bewusstwerdungsprozess bei den Eigentümern der Vorgängerfirma von Holcim, «Holderbank», die vornehmlich im Besitz der Familie Schmidheiny war. Holderbank war in den 1980er- und 1990er-Jahren in Lateinamerika und anderen Ländern in die Schlagzeilen geraten und sogar vor Gericht gekommen, weil es durch die Produktion der Firma wiederholt zu Umweltschäden mit Asbestbelastungen gekommen war. Schmidheiny erfüllte die juristisch verfügten Wiedergutmachungsmassnahmen und stieg aus der Asbest-Verarbeitung aus. Stephan Schmidheiny, der sich im Vorfeld des Earth Summit 1992 in Rio, der ersten Konferenz der UN für Entwicklung und Zusammenarbeit, stark engagiert hatte, schlug vor, dass Holcim als Unternehmen ein grundlegendes und deutliches Engagement für die Verbesserung des Verhältnisses von Bauen und Umweltschutz entwickeln solle. Seine Schriften zum Thema der ökonomischen und ökologischen Nachhaltigkeit regten zur Gründung einer Stiftung an, die das Wissen über nachhaltiges Bauen fördern und bekannt machen solle. Die Stiftung wurde für ihre Arbeit finanziell ausserordentlich grosszügig ausgestattet, was sie von heute auf morgen zu einem der weltweit führenden philanthropischen Projekte für umweltgerechtes Bauen machte. Edward Schwarz, bis dahin in der Kommunikationsabteilung der Firma tätig, wurde ausgewählt, zusammen mit dem Stiftungsrat und einem Technical Competence Center (TCC) Struktur, Arbeitsweise und inhaltliche Ausrichtung der Stiftung zu entwickeln – eine gewaltige Aufgabe, wenn man bedenkt, dass es für eine solche Stiftung keinerlei Präzedenzen gab und sie gewissermassen aus dem Nichts erschaffen werden musste.

Edward Schwarz während eines Interviews mit Hubert Klumpner (Foto © Holcim Foundation for Sustainable Construction)

Die wichtigste Entscheidung hatten die Stifter zum Glück bereits zu Beginn getroffen: Das Wort Beton taucht im Zweck der Stiftung nicht auf. Ihre Arbeit sollte sich nicht um Beton drehen, sondern darum, wie sich das Bauen in Einklang mit unserer Umwelt bringen lässt. Bei all seinen Aktivitäten hat Edward Schwarz diese prinzipielle Trennung zwischen dem Unternehmen Holcim und der Holcim Foundation mit kompromissloser Klarheit verfochten. Diese ethische Konsequenz war eminent wichtig für die Konstruktion der Stiftung, denn nur so konnte die Foundation den erwartbaren Vorwurf, ein reines Greenwashing-Tool zu sein, von Anfang an glaubhaft widerlegen. Edward Schwarz achtete immer peinlich genau darauf, dass die Projekte der Foundation nicht durch Firmeninteressen definiert werden. So legte er fest, dass die Publikationen des alle drei Jahre stattfindenden internationalen Kongresses von einem unabhängigen Herausgeberteam realisiert werden. Er bestimmte, dass die Durchführung der Awards nicht in-house, sondern von einem auf Wettbewerbsorganisation spezialisierten Büro durchgeführt werden. Er machte zur Bedingung, dass im Technical Competence Center (oder später «Academic Committee») nur unabhängige Experten sitzen dürfen, die keinerlei Affiliation mit der Firma haben. Auf diese Weise stellte er sicher, dass Holcim als Stifter keinen inhaltlichen Einfluss auf die Arbeit der Stiftung nehmen konnte. Diese vorbildliche Etablierung von Good Governance ist Edward Schwarz’ bleibendes Vermächtnis an die Stiftung, und es wäre für deren weitere Entwicklung von existenzieller Bedeutung, dass Holcim dieses Vermächtnis bewahrt und mit derselben unbestechlichen Integrität weiterführt.

Egal, wie glatt das Parkett zwischen Board-Meetings, CEO-Rapporten und Pressemitteilungen war, auf dem er tagtäglich professionell mit seinen Projekten jonglierte, als Mensch und Kollege war Edward Schwarz wunderbar unkompliziert, offen und zugänglich. Er liess sich von allen einfach «Edi» nennen und zeichnete seine Briefe und E-Mails immer mit «edi» – das kleine «e» war ganz bewusst gesetzt; es steht sinnbildlich für die entwaffnende Demut, mit der er seine Rolle verstand. Er war zu neugierig, die Welt zu verstehen, zu ungeduldig, etwas Sinnvolles zu ihrer Veränderung beizutragen, als dass er seine Zeit mit Eitelkeit und Selbstdarstellung verschwenden wollte. In seiner Zeit als Journalist hatte er sich zwei Tugenden angeeignet, die ihm in seiner Arbeit für die Stiftung sehr zugutekommen sollten: erstens ein Gespür für Themen, die unsere Aufmerksamkeit erfordern, und zweitens das Vermögen, sie so zu erzählen, dass auch komplexe Zusammenhänge für ein breites Publikum verständlich werden. Die erste Tugend half ihm, das Thema der Nachhaltigkeit viel früher wahr- und ernst zu nehmen als die meisten Architekten. Die Tatsache, dass er das Bauen nicht aus der Blase der Architektur, sondern von der extrovertierten Position eines informierten Outsiders betrachtete, trug nicht unwesentlich dazu bei, dass die Stiftung in ihrem Agenda-Setting dem Mainstream immer einen Schritt voraus war. Seine zweite Tugend, die Fähigkeit zum Vereinfachen, half Architekten, Nachhaltigkeit nicht als akademisches Sujet abzutun, mit dem sich spezielle Experten beschäftigen sollen, sondern als ein integrales Thema der Architektur zu begreifen, das entwerferisch und planerisch bewältigt werden muss – und kann!

Edward Schwarz steht Susanne Sugimoto Rede und Antwort. (Foto © Holcim Foundation for Sustainable Construction)

Zu Beginn seiner Arbeit kannte er kaum Architekten und Ingenieure, also holte er sich Rat bei den Experten des Academic Committee, Kollegen und Freunden und lernte über die Jahre die massgeblichen Akteure der internationalen Architektur persönlich kennen. Er war stolz darauf, dass Architekten, mit denen er über Jahre im Kontext des Forums und der Awards intensiv zusammenarbeitete, später Pritzker-Preisträger wurden: Alejandro Aravena, Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal sowie zuletzt Francis Kéré. Gleichzeitig erkannte er sehr früh, welch entscheidende Bedeutung die junge Generation von Architekten für eine nachhaltige Wende im Bauen spielt. Eines der wichtigsten von ihm ins Leben gerufenen Projekte war das «Next Generation Lab». Nachdem die Stiftung ihren «Next Generation Award» lanciert hatte, regte Edi Schwarz an, die 53 Preisträger des 2014 durchgeführten Preises nach New York einzuladen, damit sie sich kennenlernen, ihre Erfahrungen austauschen und vor allem miteinander arbeiten könnten.

Grosse Events zu planen und durchführen, war Edis Paradedisziplin. Mit seinem kleinen Team vollbrachte er regelmässig das Kunststück, grosse Konferenzen punktgenau zu organisieren und dafür die versammelte Prominenz der Architektur für ein paar Tage an einem Ort zusammenzubringen. Die massgeblich von ihm entwickelten Programme der Foren waren legendär für ihre dichte Mischung aus Vorträgen, Workshop Groups, Ausstellungseröffnungen, Field Trips und informellen Diskussionen in den Kaffeepausen, bei den Abendessen und den Busfahrten. In einer Zeit, in der ein immer grösserer Teil unserer Kommunikation virtuell passiert, werden physische Begegnungen wichtiger und kostbarer; Edi wusste das und schuf dafür zahllose Gelegenheiten.

Foto © Holcim Foundation for Sustainable Construction

Auch wenn Edi bei diesen Events zu einem grossen Teil mit der Behebung organisatorischer Pannen beschäftigt war – er war ein begnadeter Troubleshooter, der zur Höchstform auflief, wenn auch Plan B nicht funktionierte und er in bester MacGyver-Manier eine unkonventionelle Sonderlösung zauberte –, so war er bei diesen Anlässen doch immer inhaltlich auf Empfang. Er registrierte mit feiner Antenne, wenn sich im Diskurs neue Themen herauskristallisierten und konnte darauf reagieren. Hatte sich die Debatte um Nachhaltigkeit lange Zeit vorwiegend auf die Energiefrage konzentriert, ahnte Edi Schwarz früh, dass es mindestens ebenso wichtig werden würde, die Materialfrage zu stellen und den Materialkreislauf des Bauens zu thematisieren. Woher kommt das Material, mit dem wir bauen, was macht es mit uns und der Welt und wo geht es hin? Diese thematische Fokussierung fand ihren Ausdruck im Forum 2019 in Kairo, welches unter dem Titel «Re-materializing Construction» die gesamte materielle Basis des Bauens auf den Prüfstand stellte. Diese neue inhaltliche Rahmung war durchaus heikel für Holcim, weil sie das Geschäftsmodell der Firma betraf. Offenkundig wurde dies 2017, als der damalige CEO von Holcim, Eric Olsen, in einem Interview gefragt wurde, ob die Firma Zement für Präsident Donald Trumps berüchtigte Mauer an der Grenze zwischen Mexiko und den USA liefern würde, und er darauf keine klare Antwort zu geben wusste. Edi Schwarz schrieb daraufhin zusammen mit Rolf Soiron, dem damaligen Stiftungsratspräsidenten, ein Memorandum an die Unternehmensleitung, dass Holcim keinen Zement für ein derart unethisches Projekt liefern könne. Dies ist nur eines von vielen Beispielen, wie die Stiftung unter seiner Leitung das Selbstverständnis des Unternehmens beeinflusste und ethische Standards für ein nachhaltiges Bauen im 21. Jahrhunderte definierte, die von der Industrie nicht ignoriert werden konnten. Er wusste früher als andere im Bauen, dass wir zur Nachhaltigkeit gar keine Alternative haben, sondern dass sie schlicht die conditio sine qua non unserer Existenz ist. Nach dem Motto «Steter Tropfen höhlt den Stein» transportierte er diese Erkenntnis mit einer Mischung aus feinfühliger Renitenz und taktischer Finesse in die Hirne von Entscheidungsträgern im Bauen und in der Politik. Er hat sich dabei alles andere als geschont und gearbeitet wie ein Berserker, nahezu unablässig unterwegs von einem Kontinent zum nächsten, um in Jakarta eine Preisverleihung oder ein Forum in Mumbai zu organisieren und zwischendurch im Flieger und im Hotel so zuverlässig seine E-Mails zu beantworten, dass die Empfänger dachten, er verfasse sie an seinem Schreibtisch in Zürich.

Seine Persönlichkeit, die eine vielfältige Begabung und unerschöpflichen Enthusiasmus mit persönlicher Bescheidenheit und Warmherzigkeit verband, hat die Holcim Foundation auf eine Weise geprägt, die man gar nicht hoch genug schätzen kann. Wir nehmen traurig Abschied von einem Menschen, der andere und anderes immer wichtiger nahm als sich selbst und der genau deswegen schon jetzt so schmerzlich fehlt.

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