Es grünt am Hang
Ulrike Hark
13. de juny 2024
Foto: Rasmus Norlander
Kollektiv Marudo und Zulauf & Schmidlin Architekten zeigen mit einem Mehrfamilienhaus in Fislisbach, wie viel Potenzial im verschmähten Terrassenhaus steckt. Der grüne Holzbau passt dank seines gestaffelten Volumens zur Körnung des Quartiers und geht eine verblüffende Symbiose mit der Natur ein.
Terrassenhäuser haben heute einen schlechten Ruf. Dabei standen sie in den 1960er-Jahren für Fortschritt und Verdichtung. Sie waren eine verheissungsvolle Alternative zu den freistehenden Einfamilienhäusern mit grossem Landverschleiss. Also staffelte man die Bauten übereinander – mit viel Terrassenfläche und Aussicht für alle; am Hang, einem Terrain, das damals noch als schwierig zu bebauen galt. Die Quadratur des Kreises sozusagen. Doch die Siedlungen griffen massiv in die Landschaft ein, die Topografie verschwand bis zur Unkenntlichkeit unter fantasielosen, gestapelten Bauvolumen.
In Fislisbach im Aargau wird der Hang nicht versteckt, sondern thematisiert. Das junge Architekturbüro Kollektiv Marudo aus Baden hat in Arbeitsgemeinschaft mit Zulauf & Schmidlin Architekten am Rand des ehemaligen Bauerndorfes drei zweigeschossige Baukörper gruppiert, reine Holzbauten mit grünen Fassaden. Das beachtliche Volumen beherbergt sechs Wohneinheiten zum Mieten: eine 5,5-Zimmer-Wohnung als Maisonette zuoberst, die von der privaten Bauherrin selber genutzt wird, sowie zwei 3,5- und 4,5-Zimmer-Wohnungen und eine 2,5-Zimmer-Wohnung. Das grosse Volumen ist von aussen kaum wahrnehmbar, denn Proportion und Massstab sind gewahrt. An der Stirnseite zeigen sich luftige Veranden, die von Stützen rhythmisiert werden, Richtung Hang sind die Bauten seitlich versetzt angeordnet, sodass sie sich als ausgewogene Gesamtform harmonisch mit dem Naturraum ringsherum verzahnen. Die seitliche Versetzung hat zudem den Vorteil, dass zusätzlich zu den Dachterrassen auch kleine Balkone eingefügt werden konnten. Alle Bewohnerinnen und Bewohner – von denen der Maisonette bis zu jenem Singlewohnung – profitieren von attraktiven Ausblicken: Die Sicht geht sowohl in den gemeinsam genutzten Garten im Süden also auch zu den Hügelzügen des Juras.
Die Bewohnenden profitieren von Dachterrassen und Balkonen mit schönen Ausblicken. (Foto: Rasmus Norlander)
Foto: Rasmus Norlander
In Fislisbach, das von älteren Mehr- und Einfamilienhäusern geprägt wird, ist der Neubau eine Überraschung, vor allem auch wegen seiner grünen Holzfassade. Liegende und stehende vorfabrizierte Holzelemente aus Weisstanne wechseln je nach Lichteinfall von dunklem Braun über Moosgrün zu Olive; das Grün nimmt Rücksicht auf die Umgebung und bettet die Bauten ins Umfeld ein. Immer wieder stehen Leute vor dem Gebäude und recken staunend die Köpfe. «Die Bauherrin ist sehr naturverbunden», sagt Architekt Rafael Zulauf vom Kollektiv Marudo, «deshalb sollte es ein Holzbau sein. Anstelle der beiden Einfamilienhäuser, die vorher auf der Parzelle standen, wünschte sie sich ein kompaktes, ökologisch nachhaltiges Mehrfamilienhaus mit Mietwohnungen für Familien, Paare und Singles.» Lediglich das Fundament mit der Tiefgarage wurde in Beton ausgeführt, die Häuser selbst sind aus Schweizer Weisstanne gebaut, teilweise stammt das Holz aus dem Wald, der direkt hinter dem Grundstück beginnt.
Eine gemeinsam genutzte aussenliegende Treppenanlage erschliesst die einzelnen Wohnungen, als Wetterschutz dienen senkrechte Scheiben aus Sichtbeton. Mit ihrer Verschalung aus OSB-Platten wirken sie wie versteinert und scheinen organisch aus dem Boden zu wachsen. «Sie sind Teil der Umgebung und dürfen verwittern», erklärt Rafael Zulauf. Grosse Bullaugen sind in die Scheiben hineingeschnitten – eine hübsche Spielerei, die das Organische der ganzen Anlage betont und dazu dem Bewohner der kleinen Wohnung die Aussicht auf den Eingangsbereich rahmt.
Die Erschliessung der Wohnungen erfolgt über eine gemeinsame Aussentreppe. Scheiben aus Sichtbeton schützen die Wohnungseingänge vor der Witterung. (Foto: Rasmus Norlander)
Der gemeinsame Zugang ist ein sozialer Treffpunkt. Zusätzlich gibt es einen Lift im Inneren der Häuser. (Foto: Rasmus Norlander)
Auf dem gemeinsamen Zugang begegnet man sich, hält einen Schwatz. Es sei denn, man hat’s eilig und nimmt den Lift im Innern des Hauses. Neben den ökologischen Aspekten – etwa der PV-Anlage auf dem obersten Dach – stand das Thema Nachbarschaftlichkeit bei der Auftraggeberin zuoberst auf der Wunschliste, sagt Rafael Zulauf. Anders als bei den konventionellen Terrassenhäusern der 1960er-Jahre, wo gestapelte Anonymität gelebt wurde, sind Begegnungen ausdrücklich erwünscht. Und so erstaunt es nicht, dass es eine Waschküche gibt, die mehrheitlich gemeinsam benutzt wird. Sonst eine heikle Zone mit Kampfcharakter, die die Gemüter erhitzt.
Im Innern des Hauses gibt es keine tragenden Wände, was die Einteilung der Grundrisse flexibel machte. Jede der sechs Wohnungen ist etwas anders gestrickt, gemeinsam sind ihnen jeweils drei tragende Stützen, die längs zum Grundriss verlaufen und diesen zonieren. Diese Holzstützen bilden gleichzeitig das innere Rückgrat von Einbauschränken und offenen Regalen, die als Stauraum genutzt werden. Das minimiert das Mobiliar und macht die Räume auch in den kleineren Wohnungen weit. Simone Wyss von studio eve aus Zürich hat beim Innenausbau handwerkliche Sorgfalt walten lassen und eine wohnlich-sympathische Farbgebung gewählt: Die Holzwände sind in gebrochenen Grautönen gestrichen, die Böden wurden in Eichenholz ausgeführt.
In den Wohnungen gibt es keine tragenden Wände. Drei Stützen prägen den Raum. Auf diese Weise wirken selbst die kleinen Wohnungen bemerkenswert grosszügig. (Foto: Rasmus Norlander)
Einbauschränke und Regale bieten viel Stauraum. Zusätzliche Möbel brauchen die Bewohnenden kaum. (Foto: Rasmus Norlander)
Foto: Rasmus Norlander
Die drei grossen Dachterrassen werden von der Bewohnerschaft nicht voll ausgenutzt, ein Teil ist jeweils naturnah bepflanzt. Schlichte Netze aus Edelstahl dienen als Absturzsicherung.
Transparenz und Durchlässigkeit sind auch rund ums Haus tonangebend. Die Landschaftsarchitekten von MOFA Studio aus Zürich schufen fliessende Übergänge zu den Nachbargrundstücken. Keine Abtrennungen, keine Zäune, sondern Gräser und einige Stauden – man könnte direkt auf die Obstwiese des Nachbarn treten. In gewisser Weise erfährt die Obstwiese nun beim Neubau eine Fortsetzung: Auch hier wurden junge Obstbäume wie Zwetschge und Quitte angepflanzt. Alles wirkt unaufgeregt und natürlich. Das Vogelgezwitscher ist nicht zu überhören.
Wenn es dunkel wird am Hang, kommt manchmal der Fuchs aus dem nahen Wald zu Besuch. Und ab und zu verspürt er Lust, einen vergessenen Schuh vor dem Eingang zu stehlen. Auch ein Dachs wurde schon gesichtet – das grüne Haus scheint sogar bei seinen tierischen Nachbarn gut anzukommen.