ETH Forum Wohnungsbau 2016
Juho Nyberg
21. abril 2016
Wohnungsbau: Was darf es kosten? Bild: jn
Zum seinem 25-jährigen Jubiläum lud das ETH Forum Wohnungsbau in diesem Jahr zum Thema «Der gerechte Preis». Unter diesen beiden aktuellen Schlagworten wurden vielfältige Argumente verhandelt.
Bereits die Begrüssung durch Dr. Marie Glaser, Leiterin des Wohnforums legte wichtige Eckpunkte fest, zwischen denen sich im Verlaufe des Tages die unterschiedlichen Vorträge bewegen sollten: Mit dem Wunsch nach einem «gerechten Preis» sollte keine Forderung nach billigem, schnellem Bauen verbunden sein, so Glaser. Gute, angemessene Architektur sollte nicht zur Disposition gestellt werden, die Gerechtigkeit sollte also durchaus auch einen Qualitätsanspruch einschliessen und auch erfüllen.
Der durchschnittlich für das Wohnen aufgewendete Anteil des Haushaltseinkommens liegt in der Schweiz bei einem Drittel. Offensichtlich, dass dies bei Löhnen von 50’136 Franken pro Jahr (sog. Tieflohn 1) zu einer eingeschränkteren Auswahl an Wohnungen führt, als bei höheren Lohnklassen (die obersten 10% der Schweizer Bevölkerung empfangen über 131’220 Franken jährlich). Dazu kommt, dass günstige Wohnungen selten auf den offenen Markt kommen, sondern unter der Hand weiter gegeben werden. Die dadurch entstehende Verknappung günstiger Wohnungen macht es für Haushalte mit normalem mittleren Einkommen zunehmend schwierig, die Ansprüche zu befriedigen. Dies bedeutet zugleich eine Einschränkung der Entscheidungsfreiheit der Betroffenen.
Blick auf Europa
Nach der Eröffnung mit Bezug zur Schweiz weiteten die anschliessenden Beiträge den Blick auf ganz Europa. Die Vielfalt der Herausforderungen und Einflüsse erstaunte und liess die in der Schweiz geführten Diskussionen in einem ganz anderen Licht erscheinen.
Kathleen Scanlon der London School of Economics and Political Science präsentierte einen Überblick über die unterschiedlichen Ansätze des social housing in Europa. Insgesamt hat in den vergangenen Jahren europaweit kein Wachstum im Anteil des sozialen Wohnungsbaus stattgefunden. Beinahe ein Drittel aller verfügbaren Wohnungen der Niederlande zählt zum sozialen Wohnungsbau, damit steht das Land an der Spitze, gefolgt von Schottland und Österreich. Neben der Verfügbarkeit sind auch die zu erfüllenden Kriterien für Interessentinnen von Bedeutung. Von den drei erwähnten Ländern kennt jedoch nur Österreich formale Einkommenskriterien für eine soziale Wohnung – die für 80 bis 90% der Bevölkerung erfüllbar sind.
Einen besonderen Fall stellt Spanien dar, das mit dem geringsten Anteil aller untersuchten Länder von rund 2% nur sehr wenige Sozialwohnungen zur Verfügung stellt, auf die aber mit über drei Viertel der Bevölkerung eine grosse Gruppe Anspruch erheben kann. Die sich hier schon abzeichnende Knappheit verschärft sich noch weiter dadurch, dass die sozialen Mieten bei weniger als der halben Marktmiete liegen, ein Grossteil der sozialen Wohnungen als subventioniertes Wohneigentum vermarktet wird und dem Wiederverkauf auf dem offenen Markt keine Restriktionen gesetzt sind.
Dieser sehr laxen Haltung stehen vielfältige andere Modelle in ganz Europa gegenüber: sei es der in Frankreich gesetzlich vorgeschriebene Anteil an sozialen Wohnungen pro Gemeinde oder traditionell entstandene Besitzverhältnisse, wie etwa in England, wo sich Gemeinden und Genossenschaften den Markt an Sozialwohnungen teilen und die Einkommen der Mieter regelmässig überprüft werden. Allerdings wurde auch hier die Möglichkeit geschaffen, eine Sozialwohnung zu kaufen, der Wiederverkauf ist jedoch reguliert, um Missbrauch vorzubeugen.
Hinter dem eisernen Vorhang
Ganz anders die Entwicklung in den osteuropäischen Ländern nach dem Zusammenbruch des Ostblocks. Dr. Martin Lux aus Tschechien skizzierte die Entwicklung des Sozialwohnungsbaus seit den 1990er-Jahren: In der Epoche des Sozialismus’ gab es kein eigentliches social housing, vielmehr ein public housing. Der Staat garantierte seinen Bürgern das Recht, eine gewisse Wohnfläche zu beanspruchen. Zur Durchsetzung dieser Garantie und des Ziels, den Wohnungsmarkt vollständig zu verstaatlichen, kam es gelegentlich auch zu Enteignungen. Eine Gleichheit wurde damit freilich nicht erreicht. Überbordende Bürokratie, chronischer Wohnungsmangel und Wartelisten förderten die Entwicklung von Schwarzmarkt, Klientelismus und Korruption.
Die Ungleichheit war zum Zeitpunkt des Umbruchs der osteuropäischen Staaten erkannt. Als Mittel der Wahl wurde – wie in vielen anderen Bereichen – die (radikale) Privatisierung gesehen, nicht zuletzt unterstützt von der Weltbank. Dazu kam, dass die meisten osteuropäischen Staaten den Verkauf von Immobilien als besten Ausweg sahen, um den Wohnungsmarkt als volkswirtschaftlichen Puffer für den Umbau zu einer Marktwirtschaft zu nutzen. Finanziell schlecht gestellte Mieterinnen und Mieter konnten unter diesen Umständen jedoch schnell unter die Räder kommen, konnten sie sich den Erwerb ihres Zuhauses nicht leisten. Das gleichzeitige Fehlen von sozialen, also subventionieren Wohnungen verschärfte das Problem noch weiter.
Interessanterweise machte Lux gerade in der Finanzkrise einen Wendepunkt der Entwicklung des sozialen Wohnungsbaus in Osteuropa aus. Die viel zu einseitige Förderung von Wohneigentum erhöhte die Gefahr von Preisblasen auf dem Wohnungsmarkt. Als plausibler Ausweg zeigte sich der Ausbau des Mietwohnungsmarktes, der mit der volkswirtschaftlichen Erholung tatsächlich in Angriff genommen wurde. Dennoch blieb Lux skeptisch, was den Ausbau sozialer Wohnbauprogramme angeht. Anstelle staatlicher Eingriffe vermutete er eher das Entstehen regionaler Programme und das Einbinden von privaten oder institutionellen Investoren.
Aktuelle Herausforderungen
Deutschlands prägendes Thema derzeit ist der Flüchtlingszustrom. Obwohl mittlerweile die sogenannte Balkanroute geschlossen worden ist, hat eine Million Menschen Zuflucht in Deutschland gefunden, nur noch nicht alle eine Wohnung, die ihren Namen verdient. Dr. Thomas Krebs von der Siedlungs-Aktiengesellschaft SAGA aus Hamburg berichtete von der erstaunlichen Pragmatik, mit der die norddeutsche Hansestadt der Herausforderung begegnet: In einem ersten Schritt plant die Stadt innert 12 Monaten 5’600 (!) Wohnungen zu errichten, die SAGA beteiligt sich an diesem Vorhaben mit 2’500 Wohnungen. Die Stadt hat dafür ein beschleunigtes Verfahren der Bewilligungen geschaffen, sozusagen eine Ausnahmeregelung. Um neben den administrativen Hürden auch die Planung zu vereinfachen, plant die SAGA nun mit einem Copy-Paste-Prinzip bereits ausgeführte Überbauungen auf gleich oder ähnlich dimensionierte Parzellen zu übertragen. Ergebnis dieses sehr pragmatischen Ansatzes ist eine serielle Produktion von Systemhäusern, die ja bereits ausführungserprobt sind. Wettbewerbsverfahren entfallen hier natürlich und so verkürzt sich der gesamte Planungsprozess noch weiter. Was dem kreativen Architekten nur ein gequältes Stöhnen entlocken mag, dient hier der Befriedigung eines sehr akuten Bedürfnisses. Eitelkeiten wären fehl am Platz.
Fazit
Dietmar Eberle wagte in seiner Synthese zum Schluss der Veranstaltung die These, die Zahlungsbereitschaft sei kulturell bedingt. Die Dynamik des Wohnungsmarktes sei geprägt durch das Zusammen von privaten und öffentlichen Kräften, letztlich sei Wohnen eine politische Frage, die im Idealfall auf Ausgleich ausgelegt sei. Von all den präsentierten Ansätzen stach für Eberle jenes in Hamburg heraus als Beispiel, wie Bauen billig gemacht werden kann: durch Serienproduktion. Natürlich kann dieses Vorgehen nicht als Allheilmittel herhalten, denn die Ausrichtung auf Quantität ist nicht geeignet, Qualität zu erzeugen. Gemeinhin kann Fläche als wichtigste Kennziffer für Wohnqualität begriffen werden. Bestätigt wird diese Annahme etwa durch die Entwicklung in Zürich: lag im Jahr 1910 die durchschnittliche Wohnfläche pro Person noch bei 8 m2, so ist sie bis heute auf das über Sechsfache gestiegen, auf 52 m2. Erhöht sich das Einkommen, wird es oft als erstes in eine grössere Wohnung investiert. Womit zuletzt noch einmal das verfügbare Einkommen erwähnt wurde. Die Suche nach der Gerechtigkeit in Geldfragen ist ein brandaktuelles Thema, das sich an vielen Stellen zeigt, eben auch beim Wohnen. Die Schwierigkeit, wenn nicht gar Unmöglichkeit, hierauf eine richtige oder zumindest angemessene Antwort zu finden, zeigte sich im breiten Spektrum der Beiträge am diesjährigen ETH Forum Wohnungsbau.