Die Schweiz, angewandt

Juho Nyberg
13. septembre 2019
Ein Forschungsprojekt: Schweizer Architektur-Zitate in den Vereinigten Staaten (Screenshot: Juho Nyberg)

Architektur prägt Ortsbilder und vermittelt damit ein Stück – hoffentlich gelungene und geliebte – Heimat. Findet man Zitate fern im Ausland wieder, liegt im Gegensatz zu effekthascherischer Las Vegas-Architektur eine genuine Verbundenheit der Auswanderer mit ihrer zurückgelassenen Heimat zugrunde. So zu besichtigen etwa in der Ortschaft New Glarus im amerikanischen Bundesstaat Wisconsin. Der 1845 von 150 ausgewanderten Glarnern gegründete Ort ist heute bei Touristen beliebt und für die in den Gaststätten angebotenen Schweizer Spezialitäten bekannt. Die Ausrichtung auf den Tourismus nahm ihren Anfang in den 1950er-Jahren, als der Ort sich wirtschaftlich in einer schwierigen Phase befand. Damals wurde mit der «swissification» der Gebäude begonnen, der Ergänzung von Fassaden mit zumindest vermutet schweizerischen Architekturzitaten – traditionellen, wohlgemerkt. Seit 1999 ist die Verwendung von typischen Elementen sogar im örtlichen Baugesetz verankert. Mit Illustrationen in sieben Bildbänden und einer Sammlung von 41 Fotografien und Postkarten verweist diese auf Schweizer Designbeispiele, die jedoch nicht nur aus Glarus, sondern aus unterschiedlichen Kantonen stammen und letztlich eine vereinfachte Zusammenfassung dessen wiedergeben, was gemeinhin als schweizerisch, «swiss» eben, wahrgenommen wird. Vergleichbare Vorschriften finden sich ja durchaus auch in hiesigen Ortschaften, die etwa einen Mindestanteil an Holzverkleidung der Fassade vorschreiben.

«Tell no Cabbage» – Fassade der Pumpels Tavern als reduziertes Holzmodell (Foto: David Broda)

Initiiert und kuratiert wird die Ausstellung von der Architektin Nicole McIntosh. Ihr 2015 gemeinsam mit Jonathan Louie im texanischen Austin gegründetes Büro verschrieb sich von Anfang an dem Motto «Part practice and part observation». McIntosh hat sich im Rahmen eines Forschungsprojekts der Transformation europäischer Auswandererstädte in den Vereinigten Staaten gewidmet. Diese teilen den gemeinsamen Anspruch, den architektonischen Charme ihres kulturellen Erbes zu erhalten, um die soziale und wirtschaftliche Basis ihrer Gemeinschaft zu stärken. Die Untersuchung soll zur laufenden Diskussion über die Rolle von Bildern und kultureller Aneignung in der Architektur und im Städtebau beitragen.

«John what Henri» – im Sugar River Shoppe wohnt gemäss der Fassade allerdings Uli der Piechter. (Foto: Alaina Marra)

Die Forschungsergebnisse werden in einer Wanderausstellung gezeigt. Nach der Premiere an der Universität von Wisconsin-Milwaukee kommt sie nun in die Schweiz, natürlich nach Glarus. Am 21. September 2019 ist im Kunsthaus (Im Volksgarten) Eröffnung der in drei Teile gegliederten Schau. Sie wird bis zum 10. November dieses Jahres zu sehen sein. Gezeigt werden insgesamt 56 Architekturmodelle. 36 dokumentieren aktuelle Gebäude mit Schweizer Charakter in Neu-Glarus und werden von einer Fotoserie begleitet. Bei 18 von diesen handelt es sich monochromatische Holzmodelle, die unter dem Titel «Tell no Cabbage» die Gebäude und lokalen Bautechniken in New Glarus darstellen. Unter «John what Henri» gibt es 18 Papiermodelle zu sehen, den schweizerisch-traditionellen Bastelbögen ähnlich. Zu guter Letzt werden mit 20 Modellen fiktive Gebäudeformen gezeigt, die mit den lokalen Bauvorschriften spielen und alternative Interpretationen der Schweizer Architektur zu erforschen suchen. Sie tragen den Titel «It has as long as it has». Die fiktiven Modelle mischen Bauelemente der Schweizer Architektur mit schweizerischen Faller-Modellbausätzen, um die gleichen architektonischen Details zu übertreiben oder neu zu interpretieren und so neue Assoziationen zu erzeugen.

Einen ersten Eindruck von der spannenden Schau vermittelt schon jetzt eine sehr gut gemachte Webseite. Zudem kann man sich bereits für die Ausstellungseröffnung anmelden.

«It has as long as it has» – ein Berghaus als Collage von Fiktion und Vorschrift (Foto: Alaina Marra)

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