Kein Höchstpreis fürs Kreuzberger Filetstück

Oliver Pohlisch
8. October 2015
Anti-Piepgras-Graffiti an einer Gebaudewand auf dem Areal (alle Bilder: Oliver Pohlisch)

Vordergründig ging es «nur» um ein 4,7 Hektar großes Stück Hauptstadt: Mannshoch hat sich dort an einigen Stellen Wildwuchs breitgemacht, Hauswände und Garagentore sind mit Graffiti übersät und Autowracks harren in den Höfen ihrem letzten Ausschlachten. Mit dem Beschluss vom 10. September, das Gelände doch nicht an eine Wiener Investoren-Gesellschaft zu verkaufen, hat der Finanzausschuss des Bundesrates aber gleich mal die Liegenschaftspolitik des Bundes insgesamt in Frage gestellt.
Seit zehn Jahren obliegt die Verwaltung von Bundesimmobilien und -grundstücken der dem Finanzministerium unterstellten Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BimA). Derzeit managen 6500 Mitarbeiter rund 25.000 Liegenschaften, rund 490.000 Hektar Grundstücksfläche, 38.000 Wohnungen und ein Vermögen von 22,4 Milliarden Euro. Veräußert sie etwas aus ihrem Bestand, hat sie sich laut Gesetz nach dem Prinzip der Erlösmaximierung zu richten.

So geschehen auch im Fall des Dragoner-Areals, für das die Firma Dragonerhöfe GmbH 2014 den Zuschlag erhielt, nachdem sie der BImA 36 Millionen Euro geboten hatte. Das Areal ist eines der letzten großen Baugrundstücke in Kreuzberg. Es befindet sich zwischen Mehringdamm, Obentrautstraße und Yorckstraße. Seinen Namen verdankt es der in den 1850er-Jahren am Mehringdamm für die preußische Armee errichteten Garde-Dragoner-Kaserne, die seit 1923 als Finanzamt genutzt wird. Hinter der Kaserne befinden sich ehemalige Pferdeställe und Reithallen, die teilweise unter Denkmalschutz stehen. Einige Bereiche der Liegenschaft liegen brach, sie beherbergt aber auch Gewerbebetriebe: etwa Autowerkstätten, eine Taxischule, einen Natursteinhandel, einen Bio-Supermarkt und den über die Stadtgrenzen hinaus bekannten Club «Gretchen».

Das Areal der Dragoner-Kaserne bietet 4,7 ha Entwicklungsfläche.

Kreuzberg hat einen Ruf zu verteidigen

Die BImA musste damit rechnen, dass die Praxis des Höchstpreisverkaufs, bei dem Versuch, sie ausgerechnet auf diesem Territorium zu vollziehen, nicht ohne Widerspruch bleiben würde. Kreuzberg hat schließlich einen Ruf zu verteidigen, der sich aus dem Kampf der HausbesetzerInnen der Siebziger- und Achtzigerjahre gegen Immobilienspekulation und Kahlschlagsanierung in dem Stadtteil speist. Es verdankt diesem Konflikt eine Alternativkultur, die aber nun ihrer eigenen Attraktivität zum Opfer zu fallen droht. Auch Neuberlinerinnen aus aller Welt mit vollem Portemonnaie schätzen die Lebendigkeit und Vielfalt in den Gründerzeitvierteln Kreuzbergs und sorgen dafür, dass gerade dort die Mieten in den vergangenen Jahren so stark anzogen, wie kaum andernorts in Berlin. Demgemäß ist der Kiez zu einem der Hotspots der Bewegung gegen Gentrifizierung geworden.

Zur Bewegung gehört auch das Bündnis Stadt von Unten, das sich für eine nicht-kommerzielle, sozialverträgliche und partizipativ orientierte Entwicklung des Dragoner-Areals einsetzt. Dass das Bündnis in seinem Kampf um das Areal den Berliner Senat nicht unbedingt als Gegner sehen muss, ist dem Druck geschuldet, den die wohnungspolitische Bewegung auf die Landespolitik schon ausgeübt hat und weiter ausübt. Die Volksabstimmung gegen eine Bebauung des ehemaligen Tempelhofer Flugfeldes, Zusammenschlüsse von AnwohnerInnen wie Kotti & Co oder die Initiative für einen Mietenvolksentscheid haben dafür gesorgt, dass der Senat die Wohnungskrise nicht mehr, wie er es lange getan hat, unter den Tisch kehren konnte.

Seit einigen Jahren wächst die Zahl der EinwohnerInnen Berlins wieder und vor allem der Wohnraum im Niedrigpreis-Segment wird knapp, da sich das Land nach dem Mauerfall praktisch komplett aus dem sozialen Wohnungsbau zurückgezogen hatte. Der Anstieg der Mieten sowohl auf dem freien Markt als auch im Bestand landeseigener Wohnungsbaugesellschaften sorgt für eine Verdrängung einkommensschwacher Haushalte in die Außenbezirke. Noch als Stadtentwicklungssenator unter seinem Vorgänger, hat der jetzige SPD-Bürgermeister Michael Müller, versichert, eine aktivere Wohnungspolitik betreiben zu wollen – was angesichts der jüngsten Ankunft von Tausenden Flüchtlingen in Berlin erst recht Not tut.

Mit seinen Bebauungsplänen für das Tempelhofer Feld war es Müller nicht gelungen, die skeptische WählerInnenschaft von der Wahrhaftigkeit seiner Absichten zu überzeugen. Am Dragoner-Areal scheint der Senat seinen Politikwechsel nun aber ernsthaft vorexerzieren zu wollen. So hatte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zusammen mit dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg Leitlinien für das Gelände verabschiedet, in denen unter anderem festgelegt wurde, dass für 33 Prozent der dort zu errichtenden Wohnungen nur Mieten bis 7,50 Euro je Quadratmeter verlangt werden dürften – was angesichts der Realität immer noch als recht zaghafte Auflage erscheint. Zwei landeseigene Wohnbaugesellschaften hatten daraufhin am Bieterverfahren der BImA teilgenommen. Bei 18 beziehungsweise 20 Millionen Euro waren sie jedoch ausgestiegen. Ein noch höherer Grundstückspreis, so ihre Begründung, würde die Schaffung von Wohnraum in dieser Preisklasse nicht zulassen.

Idyllisches Plätzchen im Norden des Geländes.
Natursteinhandel auf dem Dragoner-Areal.

Bund bestand auf Abstimmung

Die Bundes-SPD griff den LandesgenossInnen bei deren Wende nicht aktiv unter die Arme – um den Großen Koalitionsfrieden nicht zu riskieren. Im Haushaltsausschuss des Bundestages stimmte sie wie die CDU/CSU mit der Union für den Deal mit der Dragonerhöfe GmbH. Doch schließlich hat auch der Finanzausschuss des Bundesrates ein Wörtchen mitzureden, wenn Bundesimmobilien für mehr als 15 Millionen Euro über den Tisch gehen sollen.

Berlins SPD-Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen nahm die politische Vorreiterrolle an, die ihm im Bundesrat mit der Entscheidung über das Dragoner-Areal zufiel und suchte nach Verbündeten unter seinen LänderkollegInnen.

Denn die Wohnungskrise ist ja beileibe kein exklusives Problem Berlins: Die meisten deutschen Großstädte hat ein Immobilienboom erfasst, der für einen kräftigen Mietenanstieg sorgt. Viele zentrale Lagen sind für DurchschnittsverdienerInnen kaum mehr leistbar, geschweige denn für ärmere Bevölkerungen. Und gleichzeitig müssen allein für die Menschen, die gegenwärtig nach Deutschland flüchten, 500.000 neue Wohnungen errichtet werden, so Expertenschätzungen. Angeschichts der Knappheit von günstigem Wohnraum rechnen soziale Träger mit Verteilungskämpfen unter benachteiligten Gruppen. Bei der Veräußerung eigener Immobilien in städtischen Lagen so zu tun, als ob es diesen Kontext nicht gäbe – das haben auch Stadtstaaten wie Hamburg und Berlin zu lange selbst so gehalten. Jetzt, wo Berlin sich umgewöhnt, drängt es auch den Bund zum Politikwandel. 

Insgesamt zwei Mal legte Kollatz-Ahnen ein Veto gegen die Abstimmung im Bundesrat ein – in der Hoffnung, den Bund dazu zu bewegen, seine Verkaufsabsichten noch zu revidieren. In seiner Haltung sah sich Berlin schließlich durch den Flüchtlingsgipfel der Koalition am 6. September bestätigt. Darin vereinbarten die Spitzen der Regierungsparteien, dass der Bund den Kommunen schnell und verbilligt Immobilien und Liegenschaften für den sozialen Wohnungsbau bereitstellt.

Bei der entscheidenden Sitzung des Finanzausschusses des Bundesrates am 10. September appellierte Kollatz-Ahnen erneut an die BImA, gemäß der Beschlüsse des Flüchtlingsgipfels, von einer Veräußerung des Dragoner-Areals abzusehen. Er erinnerte an ähnlich hohe Flüchtlingszahlen in Deutschland aufgrund der Kriege auf dem Balkan Anfang der 1990er- Jahre. Damals habe der Bund den Städten Bauland «mit Rabatten von 80 Prozent» bereitgestellt.

Der Bund soll aber keine Relevanz der Vereinbarungen des Flüchtlingsgipfels für den Fall des Kreuzberger Filetstücks gesehen und auf einer Abstimmung bestanden haben. Und hochrangige Beamte des Bundesfinanzministeriums versuchten laut dem «Tagesspiegel» mit Briefen an die Mitglieder des Finanzausschusses Stimmung für den Verkauf zu machen. 

Nördliche Seite der ehemaligen Garde-Dragoner-Kaserne, rechts davon der Eingang ins Areal

Piepgras als Strohmann verdächtigt

Die Entscheidung im Finanzausschuss fiel dann deutlicher aus als erwartet: Zehn LändervertreterInnen stimmten gegen den Verkauf, vier waren dafür. Es hatte sich eine Front nicht-CDU/CSU-geführter Bundesländer herausgebildet, wobei sich sowohl das rot-grüne Niedersachsen als auch das grün-rot regierte Baden-Württemberg der Stimme enthielten. Das schwarz-grüne Hessen war unter den Verkaufsbefürwortern.

Insbesondere von grünen Bundestagsabgeordenten war die Klage gekommen, dass die Mitglieder des Bundestags-Haushaltsauschusses vor ihrer Zustimmung zur Veräußerung des Dragoner-Areals unzureichende oder gar falsche Informationen über den Käufer erhalten hätten.

Die BImA war mit dem Unternehmer Arne Piepgras in Verhandlung getreten, der die Dragonerhöfe GmbH als Neugründung seiner Firma Stattbad Wedding vorstellte. Später stellte sich heraus, dass er auch noch seine letzten Anteile an der GmbH an seinen Partner abgestoßen hatte - eine Wiener Investoren-Gesellschaft, hinter der der Investmentfonds «Global Property Invest» steckt. Weswegen der Vorwurf laut wurde, Piepgras sei von vorneherein nur Strohmann gewesen. Die Wiener Investoren jedenfalls erklärten das Konzept des «Künstlercampus» samt eines George-Grosz-Museums, das Piepgras dem Bund unterbreitet hatte, für obsolet. Ihre Ankündigung, trotzdem sozialverträgliches Wohnen auf dem Gelände vorzusehen, klang lauwarm. Kein Wunder bei einem Kaufpreis von 36 Millionen Euro, meinten Experten.

Dem Haushaltsausschuss des Bundestags soll die BImA auch vorgetäuscht haben, dass der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg die vom Käufer vorgelegte Planung befürwortet habe. Dies war nicht der Fall. Tatsächlich sah der Planungsausschuss des Bezirks für das Dragoner-Areal neben einer Wohnbebauung auch mögliche Erweiterungsflächen für die neu zu bauende Berliner Zentral- und Landesbibliothek vor.

Unter Denkmalschutz stehende ehemalige Reithalle.
Gegenwärtig ungenutzte Fläche.

BImA muss weg vom Finanzministerium

Offen bleibt, was nun mit dem Gelände geschehen wird. Das Bieterverfahren wird sicherlich neuaufgelegt – diesmal wohl mit anderen Entscheidungsgrundlagen als die der Erlösmaximierung. Zu hoffen ist, dass die BimA den Prozess mit Senat und Bezirk eng abstimmt, um die lokalen Bedürfnisse im Verfahren zu berücksichtigen. Bei der Konversion von ehemaligen Bundeswehrkasernen kooperiert sie ja durchaus mit betroffenen Kommunen. Und aktuell stellt sie den Städten und Gemeinden zahlreiche Gebäude zur Unterbringung von Flüchtlingen zur Verfügung. Keine Überraschung wäre es, wenn nun der Bau von Unterkünften für die neu Ankommenden zur Auflage für die Bebauung des Dragoner-Areals gemacht würde.

Das Bündnis «Stadt von Unten» glaubt, mit der Verhinderung der Privatisierung des Dragoner-Areals sei der Weg für ein Modellprojekt freigeworden. Die Hoffnung richtet sich auf die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, die sich wahrscheinlich erneut ins Bieterverfahren für das Dragoner-Areal begeben werden. Die Entwicklung des Geländes durch die öffentliche Hand könnte vor allem Modell für eine Alternative zum Konzept des separierten Heims werden, das bei der Beherbergung von Flüchtlingen auch in Berlin gängig ist. Warum dort nicht gleich für ein Miteinander von neu Angekommenen und «Alteingesessenen» sorgen – im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus, mit Beteiligung von stadtpolitischen Initiativen, Flüchtlingshilfen und Baugenossenschaften sowie unter Berücksichtigung des bestehenden Denkmalschutzes.

Gerade die neu Angekommenen könnten noch dazu in der Lage sein, die nötige Toleranz für einen Verbleib der auf dem Dragoner-Areal derzeit existierenden Betriebe aufzubringen. Gegenwärtig sind diese ja von der Vertreibung bedroht. Zwar wird die traditionelle Kreuzberger Mischung aus Wohnen und gewerblicher Nutzung von lokalen PlanerInnen und PolitikerInnen weiterhin gerne beschworen, der Terminus klingt aber hohl, wenn das Gewerbe in dieser Mischnung letztlich nur noch lärm-, geruchs- und schmutzfrei vonstatten gehen darf.

Durch die Kooperation mit den kommunalen Stellen im Bieterverfahren für das Dragoner-Areal hat die BImA Gelegenheit, eine Funktion einzuüben, die sie möglichst schnell auch gesetzlich verankert werden sollte: die einer sozial verantwortungsvollen Akteurin in der Stadtentwicklung. Den Ländern für Liegenschaften ein Vorverkaufsrecht zum Verkehrswert einzuräumen, wie von einer Mehrheit der LandesbauministerInnen gefordert, ist da nur ein erster Schritt. Konsequenterweise muss sie aus dem Zuständigkeitsbereich des Finanzministers herausgenommen werden. Die BImA sollte beim Bundesbauministerium angesiedelt sein. Erst dann besteht überhaupt eine größere Chance, dass der Bund sich nicht mehr dazu hinreißen lässt, in die für ihn völlig unangemessene Rolle des Immobilienspekulanten zu schlüpfen.

Oliver Pohlisch ist Journalist, Kulturwissenschaftler und Mitglied des Berliner Zentrums für städtische Angelegenheiten, metroZones. Er arbeitet als Chef vom Dienst bei taz.de.

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